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Schemel stieg und dem Volke zurief; Ihr Herren, ich weiß man hångt mich auf; aber ich wage meinen Hals und sage Euch: greift zu den Waffen!"

Büffon erklärte sich die abstoßenden Kräfte in der Physik, indem er vorausseßte, sie würden nur alsdann wirksam, wenn die Theilchen der Materie, die einander anziehen, so lange sie in gewisser Entfernung von einander bleiben, plöglich allzunahe, innerhalb des Kreises der Anziehung an einander geriethen; alsdann, meinte er, stießen sie sich mit eben der Gewalt zurück, womit sie sonst zusammenhielten. Dies kann wenigstens als Bild auch für die Erscheinungen gelten. Es gibt einen Kreis, innerhalb dessen die Macht des Herrschers nie muß fühlbar werden, bei Strafe ihren Namen zu verändern und negativ zu hei= Ben, so positiv sie vorher war. Der Funke, der auf einer gleichartigen Substanz erlischt, kann einen Brand erregen, wenn er brennliche Stoffe schon entwickelt findet; und heterogene Materien können sich unter Umständen sogar von selbst entzünden. Ich erinnere mich hierbei einer Stelle im Kardinal Reh, wo er sagt: zur Entstehung einer Revolution sei es oft hinreichend, daß man sie sich als etwas Leichtes denke *). In der That, welche Auflösung, welche Gährung seht diese Stimmung der Gemüther nicht voraus? Ueber wie viele, sonst abschreckende Ideenverbin dungen muß ein Volk sich nicht hinausgeseßt haben, ehe es in seiner Verzweiflung diesen Gedanken faßt? Alle jene Uebel, welche vor Alters zur Vereinigung in einem Staat, zur Unterwerfung unter die Geseße, vielleicht unter den Willen Eines Herrschers so unaufhaltsam antrieben, werden vergessen; das ge= genwärtige Uebel verschlingt diese Erinnerung; jede Partei rekla= mirt ihre Rechte mit Gewalt und der Kampf geht wieder von

vorn an.

Die Gebrechen einer Staatsverfassung können indeß eben

*) Die ganze Stelle ist so schön, daß ich sie wieder nachgeschlagen habe und hier einrücke: ,,Ce qui cause l'assoupissement dans les états qui souffrent, est la durée du mal, qui saisit l'imagination des hommes et qui leur fait croire qu'il ne finira jamais. Aussitôt qu'ils trouvent jour à en sortir, ce qui ne manque jamais lorsqu'il est venu à un certain point, ils sont si surpris, si aises et si emportés, qu'ils passent tout d'un coup à l'autre extrémité et que bien loin de considérer les revolutions comme impossibles, ils le croient faciles, et cette disposition toute seule est quelquefois capable de les faire."

so wohl auch ohne eine heftige Erschütterung gehoben werden, wenn man sich in Zeiten guter Vorbauungsmittel bedient und unvermerkt dem ganzen Staate die rechte Richtung nach seinem wahren Ziele sittlicher Vervollkommnung gibt. In Despotien haben wir das Beispiel, daß weise Regenten es ihre vorzügliche Sorge fein ließen, die bürgerliche Gesezgebung zu vervollkomm= nen und sich dann selbst den neuen Coder zum unverbrüchlichen Geseze machten, damit auch einst, wenn eingeschränktere Einsichten den Staat regieren sollten, eine Richtschnur vorhanden sein möchte, um ihnen ihren Weg vorzuzeichnen und das Gefühl von Recht und Unrecht bei dem Volke zu schärfen. Aumålig bilden sich in solchen mit Weisheit beherrschten Staaten neue, von der obersten Gewalt immer unabhängigere Kräfte; die verschiedenen Volksklassen dürfen die ihnen im Geseße zugestandenen Vorrechte behaupten; der Wohlstand, der eine Folge milder und zweckmåBiger Politik ist, gibt ihnen Muth und Kräfte jedem eigenmåchtigen Eingriffe Widerstand zu leisten; Stånde und Municipalitåten erhalten einen Wirkungskreis und es geht zwar langsam, aber desto sicherer, eine allgemeine und allen Gliedern des Staats gleich vortheilhafte Veränderung der Verfassung vor sich. Offenbar zwecken viele Einrichtungen sowohl des verstorbenen Königs als feines Nachfolgers in den preußischen Staaten dahin ab; und dies ist der Grund, weshalb in jenen Staaten auch nicht die entfernteste Besorgniß einer Gährung im Volke vorhanden ist.

Ich habe mir es nicht versagen können, Dir wenigstens etwas von den Ideen mitzutheilen, die mir zuströmen, seitdem ich über die jehige Lage von Lüttich nachdenke. Von allen je nen Vordersågen wage ich indeß nicht, die Anwendung auf diesen individuellen Fall zu machen und die eine oder die andere Partei zu verdammen. Um das zu können, müßte man in die Geheimnisse der Kabinette eingeweiht und bis zur Epopsie darin gekommen fein, ein Punkt, wo nach dem Ausspruche der Ge= weihten die Entscheidungsgründe, womit wir Laien uns so gern befassen, in tiefes Stillschweigen begraben, die Urtheile hingegen, mit der unfehlbaren Autorität von Orakelsprüchen, der profanen Welt verkündigt werden. Demüthiger als ich bin, will ich mich gleichwohl nicht stellen; Du weißt, ich halte nichts von Tugenden, die sich mit. Gepränge anmelden; und, Scherz beiseite, wenn ich alles erwäge, was ich so eben hingeschrieben habe, kommt es mir mehr als problematisch vor, daß diese Sache so von der

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Hand sich aburtheilen lasse, wofern man nicht gewohnt ist, mit Machtsprüchen um sich zu werfen, oder auf morsche Grundlagen zu bauen. Der wüthigste Demokrat und der eigenmächtigste Despot führen heutiges Tages nur Eine Sprache; Beide sprechen von der Erhaltung und Rettung des Staats, von Recht und Gesek; Beide berufen sich auf heilige, unverleßbare Verträge, Beide glauben eher alles wagen, Gut und Blut daran sehen zu müssen, ehe sie zugeben, daß ihnen das Geringste von ihren Rechten geschmålert werde. Mich důnkt, etwas Wahres und etwas Falsches liegt auf beiden Seiten zum Grunde; Beide has ben Recht und Unrecht zugleich. Ein Staat kann nicht bestehen, wenn jeder sich Recht schaffen will. Ganz richtig; aber nicht minder richtig ist auch der Gegensaß der demokratischen Partei: ein Staat kann nicht bestehen, wenn kein Geringer Recht bekommt. Gegen den Landesherrn sich auflehnen, ist Empórung; die Herrschermacht mißbrauchen, ist unter allen Verbrechen das schwärzeste, da es in seinen Folgen dem Staate tödtlich und gleichwohl selten ausdrücklich verpönt ist, sondern weil man auf die sittliche Vortrefflichkeit des Regenten volles Vertrauen seßte, seinem zarten Gefühl von Pflicht anheimgestellt blieb. Jeder unruhige Kopf kann die verlegten Rechte des Bürgers zum Vorwande nehmen, um einen Aufstand - zu erregen und seine ehrgeizigen Absichten durchzusehen; jeder Despot kann aber auch, unter der Larve der Wachsamkeit für die Erhaltung des Staats, die gegründeten Beschwerden des Volks von sich abweisen und dessen gerechtestes Bestreben seine Vorrechte zu erhalten oder wieder zu erlangen, als einen Hochverrath oder einen Aufruhr ahnden. In erblichen Monarchien kann der Fürst, wenn seine Unterthanen ihm den Gehorsam aufkündigen, vor Gott und Menschen gerechtfertigt, fein Erbrecht behaupten und die Rebellen als Bundbrüchige zur Rückkehr unter seine Botmäßigkeit zwingen; allein die Insurgenten werden ihn erinnern, daß der Erbvertrag die Bedingung vorausseßt: der Herrscher solle der weiseste und beste Mann im Staate sein; wenn es sich nun aber fånde, daß der Wechsel der Zeiten und Generationen die Beherrschten weiser und besser gemacht, den Regenten hingegen håtte an Herz und Verstand verarmen lassen; wenn sie sich nicht so schwach an Geiste fühlten als ihre blödsinnigen Voreltern, so frage es sich: müsse sie da der Vertrag noch binden, oder müsse nicht vielmehr der Fürst mit ihnen seine Rolle vertauschen? Du siehst, die Politik

hat ihre Antinomien wie eine jede menschliche Wissenschaft, und es gibt in der Welt nichts Absolutes, nichts Positives, nichts Unbedingtes, als das für sich Bestehende, welches wir aber nicht kennen. Nur Bedingnisse des Wesentlichen können wir wahrnehmen; und auch diese modificiren sich nach Ort und Zeit. Die Philosophie darf daher jene Einfalt belächeln, womit mancher die einseitigsten Beziehungen für unabånderliche Normen hålt, da ihn doch ein Blick auf das, was von jeher geschah und täglich noch geschieht, so leicht von dem blos relativen Werthe der Dinge überzeugen kann.

Kein Mensch verstånde den andern, wenn nicht in der Natur aller Menschen etwas Gemeinschaftliches zum Grunde låge, wenn nicht die Eindrücke, die wir durch die Sinne erhalten, eine gewisse Aehnlichkeit bei allen einzelnen Menschen beibehielten, und wenn nicht wenigstens unabhängig von allem objektivem Dasein, die Bezeichnung der Eindrücke, nach welcher wir gut und böse, recht und unrecht, widrig und angenehm, schön und häßlich unterscheiden, in uns selbst als Form aller Veränderun gen, die in uns vorgehen können, schon bereit låge. Welche bestimmte Eindrücke nun aber diese oder die entgegengeseßte Empfindung in uns hervorbringen sollen, das hångt von Organisation und zum Theil auch von Erziehung oder Gewöhnung ab, und man begreift wohl, wie am Ende die Verschiedenheit der Gefühle und folglich der Gesinnungen bei manchen Einzelnen schlechterdings nicht zu heben oder auf einen Vereinigungspunkt zurückzuführen ist. Aus einem gewissen Standorte betrachtet kann es allerdings nicht gleichgültig scheinen, ob dergleichen unüberwindliche Unterschiede forteristiren sollen oder nicht; es kann sogar einen Anstrich von höherer Vollkommenheit für sich haben, wenn alle Meinungen sich nach einer gemeinschaftlichen Vorschrift bequemten und dann durch das ganze Menschengeschlecht nur Ein Wille herrschen und nur Ein Pulsschlag in der großen, sitt= lichen Welt, wie in der kleinen physischen des einzelnen Menschen, regelmäßig Alles in Umtrieb erhalten dürfte.

Den kürzesten Weg zur Hervorbringung dieser Gleichförmigkeit hatten unstreitig diejenigen erfunden, die den großen Entwurf einer Universalmonarchie mit dem kräftigen Glauben an eine geistliche Unfehlbarkeit des höchsten Alleinherrschers und an sein überirdisches Dasein, als eines sichtbaren Stellvertreters der Gottheit, zu einem der Zeit und der unruhigen Vernunft Troß

bietenden Ganzen verschmolzen zu haben wähnten. Ein Wille, eine Weisheit, eine moralische Größe über alles, deren Macht zu widerstreben Thorheit, deren Recht zu läugnen Unvernunft, deren Heiligkeit zu bezweifeln Gotteslåsterung gewesen wäre, konnten, wenn es überhaupt möglich ist, bis auf den Punkt sich aller Gemüther zu bemeistern, zuerst das Ziel erreichen, weiches auch die ausschweifendste, von dem Schicksal auf einen kleinen Planeten gebannte Herrschgier sich stecken mußte; das Ziel eines, über alle die Tausende von Millionen vernünftiger Wesen, über alles, was sich regt, was hervorsproßt und was ruht auf dieser runden Erde, unumschränkt gebietenden Zepters.

Planlos war diese Macht herangewachsen; ohne tief in die Zukunft zu blicken, hatten die stolzen Halbgötter die Gegenwart genossen. Zu spåt ging endlich das vollendete System hervor; denn die Kraft des Glaubens war von ihm gewichen, dieser zarte, flüchtige Hauch, der sich in dem schwachen und immer schwächeren Gefäße der menschlichen Natur nicht länger aufbe wahren ließ. Die neue Theokratie scheiterte endlich an der Verfassung von Europa. Ihre Vasallen waren Könige; ein anderes Mittel zu herrschen vergönnten ihr die Zeitläufe nicht; allein die mächtigen Satrapen spotteten zuleht der geistlichen Zwangsmittel, wodurch sie ehedem allmächtig war.

Seitdem die Unfehlbarkeit und mit ihr die Möglichkeit einer Universalmonarchie verschwunden ist, bliebe der Versuch noch übrig, ob ein entgegengesettes System von republikanischen Grundsåsen etwa leichter eine allgemeine Verbrüderung des Menschengeschlechts zu einem allumfassenden Staatenbunde bewirken könnte, und ob sich endlich alle Menschen bequemen möchten, den allgemeingültigen Grundsäßen, die eine solche Verbindung vorausseßt, ohne Widerrede zu huldigen? Die Folgen dieser, wenn sie möglich wäre, höchst wichtigen Zusammenstimmung, hat wohl schwerlich Jemand in ihrem ganzen Umfange und Zusammenhange überdacht. Bei der vollkommenen Gleichförmigkeit in der praktischen Anwendung jener Grundsäße, scheint mir diejenige Einseitigkeit und Beschränktheit der Begriffe unvermeidlich, welche wir schon jest an Menschen wahrnehmen, die unter sich über gewiffe Regeln einverstanden oder an eine besondere Lebensweise gebunden sind. Ein politischer Mechanismus, der durch alle Individuen des Menschengeschlechts ginge, würde den Bewegun= gen aller eine Bestimmtheit und Regelmäßigkeit vorschreiben, welche

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