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baute Ebene. Triften, Wiesen, Aecker und Heerstraßen waren mit hohen Bäumen und Gebüschen eingefaßt; der Steindamm war den größten Theil des Weges so gut, wie im übrigen Brabant und Flandern. Die Vegetation schien indeß kaum noch weiter vorgerückt, als wir sie in unserer milden mainzer Gegend verlassen hatten; die Saaten allein prangten mit ihrem frischen Grün, und des Delrettigs dichte, goldgelbe Blüthen bedeckten oft unabsehliche Strecken. Das Erdreich war an vielen Stellen leicht und mit Sand gemischt, mithin gewissen Gattungen von Getreide vorzüglich angemessen. Ueberall sahen wir den Anbau zu derjenigen Vollkommenheit getrieben, wo bereits der Wohlstand der Einwohner durch ihren Fleiß hervorschimmert. Wie leicht müßte nicht hier, bei einer bessern Erziehung des Landvolkes und gehöriger Anleitung von Seiten der Gutsbesizer, die Landwirthschaft mit der schwedischen und englischen wetteifern können! Allein es ist ja alles hier gleichsam darauf angelegt, den alten Vorurtheilen einen Charakter heiliger Unfehlbarkeit aufzuprågen. Mit Erstaunen und Freude mußten wir indeß einander bekennen, daß wir solche Flecken und solche Dörfer, als womit dieser Weg und die ganze Gegend gleichsam besået ist, auf dem festen Lande noch nicht angetroffen hätten. Lockeren, St. Nikolas u. a. m. beschämen die Städte vom dritten und vierten Range, die man in andern Låndern über ihres Gleichen rühmt. Sie sind beinahe Viertelmeilen lang, durchaus von Backsteinen sauber erbaut, mit breiten Straßen, gutem Pflaster und Reihen von Bäumen wohl versehen. Ordnung und Reinlichkeit, die unverkennbaren Begleiter des Wohlstandes, herrschten im Innern der Häuser und der treuherzige Ton der Bewillkommnung, den wir von den Einwohnern vernahmen, bestätigte uns in der guten Meinung von ihrer Wohlhabenheit. Wir fanden alle Hände mit der Verfertigung von grober Leinwand zu Segeltuch, Ge= zelten u. d. gl. aus selbst gezogenem Hanf und Flachs beschäftigt. Dieser Anbau, nebst den darauf beruhenden Manufakturen und dem reichlichen Ertrage des Getreidebaues, scheint die Hauptquelle des hiesigen Reichthumes zu sein.

Eine halbe Meile vor Antwerpen verschwanden die Bäume, Gebüsche und eingezäunten Felder; die Gegend verwandelte sich in eine weit ausgebreitete Lande, eine kahle Ebene, wo Viehweiden und Wiesen an einander grenzten, und an deren Horizont wir ringsum beschattete Dörfer, in der Mitte aber Unt

werpen in seiner imposanten Größe liegen sahen. Ein Wald von Thurmen und vorzüglich der ungeheure gothische, wie Filigran gearbeitete Spisthurm der Kathedralkirche ragte hoch empor; die Citadelle auf einer kleinen Erhöhung vergrößerte und verschönerte diesen Anblick, und die Bewegung auf- und absegelnder Barken auf der Schelde, die wir zwischen ihren Ufern noch nicht sehen konnten, hatte etwas Zauberähnliches. Bald erblickten wir ihre gedemüthigten Gewässer und feufzten von neuem über europäische Politik und europäisches Völkerrecht. Der schöne, herrliche Fluß ist, wie die Themse, zum Handel gleichsam geschaffen; die Fluth steigt darin zwanzig Fuß hoch vor den Mauern der Stadt und verdoppelt alsdann seine Tiefe. Hier ist er nicht so breit, wie der Rhein vor Mainz; aber er trägt wegen des beträchtlichen Steigens und Fallens keine Brücke. Etliche Meilen weiter hinabwärts breitet er sich aus zu eines Meerbusens Weite. Wir fahen einen Hafen, wo zweitausend Schiffe Raum finden würden, mit einigen kleinen Fahrzeugen beseßt. In we nigen Minuten führte uns ein kleiner Nachen von dem sogenannten Haupt (oder der Spike) von Flandern hinüber in die Stadt.

XXI.

Antwerpen.

Es kostet eben keine große Mühe, in einer Stadt, die Raum für zweimalhunderttausend Menschen enthält, zwischen den übrig gebliebenen vierzigtausend Einwohnern sich hindurch zu drången; das bloße Sehen ist es, was uns am Abend ermüdet auf unser Zimmer zurücktreibt, wo ich Dir heute noch erzählen will, welche Schäße der flammändischen Kunst in diesen paar Tagen vor uns die Schau und Musterung haben aushalten müssen. Was wir gesehen haben, ist nur ein sehr geringer Theil der in Antwerpen noch vorhandenen Gemålde; alle Kirchen, Abteien und Klöster, deren es hier mehr als dreißig gibt, find über und über mit den Meisterwerken niederländischer Maler behångt; das weitläufige Rathhaus, die Såle der Bürgerkompagnien und die Börse

enthalten manches große und von Kennern gepriesene Werk, und außerdem zählt man verschiedene erlesene Privatsammlungen von kleineren Stücken. Wenn die Menge dieser Kunstgebilde mit ih rem Werth in einem direkten Verhältniß stånde, so müßten fo= wohl Maler als Liebhaber der Malerei nach Antwerpen wie nach Rom wallfahrten und Jahre lang sich an dem Fleiße, der Geschicklichkeit und der Erfindungskraft der niederländischen Meister weiden; doch daß es wirklich nur zu selten geschieht, das seßt die hiesigen Schulen tiefer unter die italienischen herab, als meine Lobsprüche sie wieder heben können.

Die Malerei umfaßt einen so großen Kreis von Fertigkeiten und Kenntnissen, daß unter Hunderten, die sich ihr widmen, kaum Einer zu irgend einer auszeichnenden Stufe gelangt und folglich wahre Künstlergröße auf diesem Wege so schwer zu er= ringen ist, wie in jener von Homer und Pindar betretenen Laufbahn. Ob ein Marmorblock, oder zerriebene Farben, oder die Elemente der Sprache den rohen Stoff ausmachen, den der Künstler bilden soll: dies kann in so weit gleichgültig sein, als nur die Arbeit den Werth des Kunstwerks bestimmt; und diese Arbeit nun nach welchem andern Verhältnisse läßt sie sich schäßen, als dem gedoppelten, des innern Werthes und Reichthumes der schaffenden Seele und des Grades der Vollkommenheit, in welchem sie sich mit ihrer Schöpfung identificirte? Oder sollte es hier wirklich nicht auf das erstere, nicht auf die Humanität des Künstlers ankommen? sollte nur die Gabe darzustellen, gleichviel was dargestellt würde, den Meister bezeichnen? Dann freilich gibt es keine größeren Maler als Douw, Miris und Metsů; dann könnte es sich treffen, daß ein Harlekin der größte Schauspieler genannt zu werden verdiente; dann hieße das Geklingel und Geklapper der Sylben und die, wie Paul Denner's Köpfe, bis auf jedes Härchen mühsam, ekelhaft und geschwäßig nach dem Leben kopirten Sittengemålde unserer Idyllenschmiede das non plus ultra der Dichtkunst.

Unstreitig hat die bloße Nachahmung der Natur ihr großes Verdienst; sie ist die unnachläßliche Bedingung zu weiteren Fortschritten. Es feht sogar in allen drei Künsten, die ich eben erwähnte, ein weit getriebenes Studium, einen gewissen Umfang der Kenntnisse, der Erfahrung und Uebung voraus, um nur den Mechanismus, so der Farbenmischung und Farbengebung, wie der metrischen Bewegungen und ihrer Anwendung, oder end

lich der Mimik und Deklamation, auf die höchste Stufe der Vollkommenheit zu bringen. Vielleicht aber liegt es schon in der Natur menschlicher Anlagen, daß gemeinhin bei der Concentration aller Kräfte auf diese mechanischen Vorübungen, die Fähigkeit zu den höheren Zwecken der Kunst hinanzusteigen, verloren geht oder wohl gar von Grund aus schon fehlt. In der Mechanik der Kunst konnten die Niederländer selbst einen Raphael übertreffen; allein wer seine Formen sieht, in seinen Gemålden Gedanken liest und Gefühle ahnet, den umfassenden, erschöpfenden wählenden Sinn darin erkennt, womit der hohe Künstler den Menschen und sein Treiben durchschaute — wird ihm der nicht die kleinen Mångel seiner Palette gern erlassen? Ich möchte fast noch weiter gehen, ich möchte mich überreden, daß den größten Meistern so viel von diesem Machwerk zu Gebote gestanden, als sie gerade zur Vollkommenheit ihrer Darstellung bedurften, daß die üppige, wollüstige Vollendung eines Tizian den Eindruck håtte stören können, den Raphael's erhabener Ernst hervorbringen sollte. So viel ist wenigstens gewiß, daß die Darstellung der griechischen Gottheiten darum bereits außerhalb der Grenzen der Malerei zu liegen und ein ausschließendes Eigenthum der Bildhauerei zu sein scheint, weil das irdische Kolorit großentheils die Täuschung vernichtet, welche das idealifirte Ebenmaß allein bewirken kann; die vortrefflichsten gemalten Göttinnen und Götter sind weiter nichts und machen keinen andern Eindruck, als schöne Frauen und Männer. Wenn ich diese Bemerkung auf solche Gegenstände anwende, die der Malerei vorzüglich angemessen sind und in deren Bearbeitung fie eigentlich ihre höchste Vollkommenheit erreicht, so důnkt es mich auch hier, daß der heroischen Natur, der idealischen Schönheit, der åsthetischen und sittlichen Größe eine gewisse Täuschung, nicht nur der Formen, sondern auch der Farbengebung, nothwendig zugestanden werden müsse, welche mit dieser Einschränkung noch gedenkbar und gleichwohl über jede gewöhnliche und bekannte Natur hinwegschwebend, den Charakter des Erhabenen ausdrückt. Würde nicht zum Beispiel die Wärme, womit es erlaubt ist eine Danaë, eine Leda oder eine Kleopatra zu malen, dem Bildniß einer Heiligen übel anstehen? Oder dürfte sich der Maler schmeicheln, wenn er die Himmelfahrt der Jungfrau schildert, die Phantasie des Zuschauers befriedigen und bestechen zu können, wofern er nicht die Vorstellung eines schweren, materiellen Kör

pers von Fleisch und Blut so viel als möglich durch die Illusion des Kolorits zu entfernen suchte *)?

Den Künstlern kann man es nicht oft genug wiederholen, daß die treue Nachahmung der Natur keinesweges der Zweck der Kunst, sondern nur Mittel ist; daß Wahrscheinlichkeit ihr mehr als Wahrheit gilt, weil ihre Werke nicht zu den Wesen der Natur gehören, sondern Schöpfungen des menschlichen Verstandes, Dichtungen sind; daß die Vollkommenheit dieser Geistesgeburten desto inniger empfunden wird, je unauflösbarer die Einheit und je lebendiger die Individualität ihres Ganzen ist; endlich, daß Schönheit ihr vollendetes äußerliches Gepräge und zugleich ihre inwohnende Seele bleiben muß. Vermittelst dieser Bestimmungen erklärt man sich leicht, warum in achten Kunstwerken die Darstellung zuweilen so treu und wahr sein kann, wie in bloßen Kopien nach der Natur; da hingegen umgekehrt der genielose Fleiß, auch wenn er tåuschend genau darstellt, auf den Namen der Kunst im höheren Verstande keinen Anspruch machen darf. So würde es ebenfalls die Scheidung des Wesentlichen in der Kunst von dem Zufälligen sehr erleichtern, wenn man erwoge, daß sogar die rohesten Völker, die entweder einen höchst unvollkommnen oder noch gar keinen Trieb zu materiellen Kunstgebilden äußern, bereits wahre Poesien besißen, welche, ver= glichen mit den geglåtteten und künstlich in einander gefügten dichterischen Produkten der verfeinerten Kultur, diesen oft den Preis der Gedankenfülle, der Stärke und Wahrheit des Gefühls, der Zartheit und Schönheit der Bilder abgewinnen. Man begreift, wie diese Eigenschaften das einfache Hirtenlied, die Klagen und das Frohlocken der Liebe, den wilden Schlachtgesang, das Skolion beim Freudenmale und den rauschenden Götterhymnus eines Halbwilden bezeichnen können; denn sie gehen aus der schöpferischen Energie des Menschen unmittelbar hervor und find unabhängig von dem Vehikel ihrer Mittheilung, der mehr oder minder gebildeten Sprache. Spröder ist der todte, körperliche Stoff, welchen der bildende Künstler außer sich selbst suchen muß, um seine Einbildungskraft daran zu offenbaren. Statt des conventionellen Zeichens, des leicht hervorzubringenden To

*) Hiermit wäre also die Frage, welche Lessing im Anhang zum Laokoon S. 380 aufwirft, vorläufig beantwortet und Richardson's Hoffnung, daß Raphael übertroffen werden könne, vereitelt.

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