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wurf, in Gedanken ergänzt, so mächtig erschüttern kann, wie håtte nicht die Wirklichkeit uns hingerissen!

Ich erzähle Dir nichts von den berüchtigten heiligen Drei Königen und dem sogenannten Schat in ihrer Kapelle, nichts von dem Hautelisfetapeten und der Glasmalerei auf den Fen= stern im Chor, nichts von der unsäglich reichen Kiste von Gold und Silber, worin die Gebeine des heiligen Engelbert's ruhen, und ihrer wunderschönen, cifelirten Arbeit, die man heutiges Tages schwerlich nachzuahmen im Stande wäre. Meine Aufmerkfamkeit hatte einen wichtigeren Gegenstand, einen Mann von der beweglichsten Phantasie und vom zartesten Sinne, der zum ersten Male in diesen Kreuzgången den Eindruck des Großen in der gothischen Bauart empfand und bei dem Anblick des mehr als hundert Fuß hohen Chors vor Entzücken wie versteinet war. , es war köstlich, in diesem klaren Anschauen die Größe des Tempels noch einmal, gleichsam im Widerschein, zu erblicken! Gegen das Ende unseres Aufenthalts weckte die Dunkelheit in den leeren, einsamen, von unseren Tritten wiederhallenden Gewölben, zwischen den Gråbern der Kurfürsten, Bischöfe und Ritter, die da in Stein gehauen liegen, manches schaurige Bild der Vorzeit in seiner Seele. In allem Ernste, mit seiner Reizbar= keit und dem in neuen Bilderschöpfungen raftlos thätigen Geiste möchte ich die Nacht dort nicht einsam durchwachen. Gewiß entsetest Du Dich schon vor dem bloßen Gedanken, wie ihm selbst davor graute.

Ich eilte mit ihm hinaus ins Freie, und sobald wir unsern Gasthof erreicht hatten, erwachte die beneidenswerthe Laune, womit er, durchdrungen vom Genuß der lieblichen Natur, schon auf der ganzen Fahrt von Koblenz her, die einförmigen Stunden uns verkürzt hatte. Noch kann ich mir den großen Zweifel nicht lösen, ob es befriedigender sei, Bilder des Wirklichen unmittelbar aus der umgebenden Weite zu schöpfen, oder sie von zahllosen Unschauungen bereits überallher gesammelt, erlesen, ge= ordnet, zusammengesett, zu schönen Ganzen vereinigt, aus einer reichen Menschenseele, unserm Wesen schon mehr angeeignet, in uns übergehen zu lassen? Beides hat seinen eigenthümlichen Werth, und beides haben wir seit unserer Abreise schon reichlich gekostet. Lebendiger wirkt die unmittelbare Gegenwart der beseelten Natur; tief und scharf bestimmt und alle Verhältnisse erschöpfend, graben sich die Bilder des Daseins, das unabhängig

von dem Menschen, ohne sein Zuthun ist und war und sein wird, ins Gedächtniß ein. Dagegen gesellen sich, von einer menschlichen Organisation aufgefaßt, die mannigfaltig= sten Formen aus allen Welttheilen zugleich, aus der Vergangenheit und darf ich es sagen? aus der Zukunft, zum Gegenwärtigen, und verweben sich mit ihm zu einem die Wirklichkeit nachahmenden Drama. Wir selbst, ich fühle es wenigstens, können nicht immer so richtig, so ins Wesentliche eingreifend empfangen, so die unterscheidenden Merkmale der Dinge uns selbst bewußt werden lassen, wie sie uns auffallen, wenn ein Anderer sie vom Außerwesentlichen abgeschieden und in einen Brennpunkt vereinigt hat. Zum Beweise brauchte ich nur an das schwere Studium des so vielfältig und so zart núancirten Menschencharakters zu erinnern. Je feiner die Schatz tirungen sind, wodurch sich so nahe verwandte Geschöpfe unterscheiden, desto seltener ist sowohl die Gabe der bestimmten Erkenntniß, als die Kunst der treuen Ueberlieferung ihres Unterschiedes.

Der Genuß eines jeden, durch die Empfindung eines Andern gegangenen und von ihm wieder mitgetheilten Eindrucks seht aber eine frühere, wenn gleich unvollkommene Bekanntschaft mit dem bezeichneten Gegenstande in uns voraus. Ein Bild, wäre es auch nur Umriß, müssen wir haben, worin unsere Einbildungskraft die besonderen Züge aus der neuen Darstellung übertragen und ausmalen könne. Die bestimmte Empfänglichkeit des Künstlers für das Individuelle erfordert daher, wenn sie recht geschäßt werden soll, einen kaum geringeren Grad der allgemeinen Empfänglichkeit des Kunstrichters, und die Seltenheit dieses Grades ist ohne Zweifel der Grund, weshalb die höchste Stufe der Kunst, in allen ihren Zweigen so leicht verkannt werden, oder auch beinahe gänzlich unerkannt bleiben kann. Was der große Haufe an einem Gemälde, an einem Gedichte oder an dem Spiel auf der Bühne bewundert, das ist es wahrlich nicht, worauf die Künstler stolz sein dürfen; denn diesem Haufen genügt die Täuschung, die ihm Erdichtetes für Wahres unterschiebt, und wer weiß nicht, wie viel leichter sich Kinder als Erwachsene, gewöhnliche Menschen als gebildete, täuschen lassen? Darum kann auch nicht die Illusion, als solche, sondern es muß die ganze Vollkommenheit der Kunst der lehte Endzweck des Künstlers sein, wie sie allein der Gegenstand der höchsten Be

wunderung des Kenners ist, der sich nicht mehr tåuschen läßt, außer, wenn er mit dem feinen Epikurismus der Kultur eben gestimmt wåre, im Beschauen eines Kunstwerks nur den Sinn des Schönen zu befriedigen, und wenn er auf das erhöhte, reflektirte Selbstgefühl, welches aus der Erwägung der im Menschen wohnenden Schöpferkraft entspringt, absichtlich Verzicht thåte.

Was wäre aber die Kunst, was hätte sie, hinweggesehn vom Sinnlichen, Erweckendes und Anziehendes für unsern denkenden Geist, wenn es nicht diesel, dem Naturstoff, den sie be= arbeitet, eingeprägte Spur der lebendigwirkenden, umformenden Menschheit wäre? Das Siegel des Herrschers in der Natur ist es eben, was wir an jedem Kunstwerk, wie das Brustbild eines Fürsten auf seiner Münze, erblicken wollen; und wo wir es vermissen, da ekelt die allzusclavisch nachgeahmte Natur uns an. Daher hat jede Kunst ihre Regeln, ihre Methodik; eine wahrhafte Geistes schöpfung von abgezogenen Begriffen liegt ihr zum Grunde, nach welcher der Künstler im Materiellen wirken und der Richter ihn beurtheilen muß. Der metaphysische Reichthum, den sich der Künstler aus unbefangenen Anschauungen der Natur erwarb, den er in das System seiner Empfindungen und Gedanken verwebte den strömt er wieder über alle seine Werke aus. So entstanden der Apoll vom Belvedere, die mediceische Venus, die Schule von Athen, die enëide, der Ma= homet; so bildeten sich Demosthenes und Cicero, und Molé und Garrik. Die Ideale des Meißels und der Malerei, der Dichtkunst und Schauspielkunst finden wir sämmtlich auf dem Punkte, wo das einzeln zerstreute Vortreffliche der Natur zu einem Ganzen vereinigt, eine nach den Denkformen unserer Vernunft mögliche, auch von unserem Sinne zu fassende und sogar noch finnlich mittheilbare, aber in der lebendigen Natur nirgends vorhandene Vollkommenheit darstellt. Göttlichgroß ist das Künstlergenie, das den Eindrücken der Natur stets offen, tief und innigunterscheidend empfindet und nach seiner innern Harmonie das Treffendste vom Bezeichnenden, das Edelste vom Edlen, das Schönste vom Schönen wählt, um die Kinder seiner Phantasie aus diesen erlesenen Bestandtheilen in Zauberformen zu gießen, welche wahr in jedem einzelnen Punkt ihres Wesens, und nur insofern der Mensch sie vereinigte, liebliche Träume sind.

Nur das Gleichartige kann sich faffen. Diesen Geist zu erkennen, der über die Materie hinwegschwebt, ihr gebietet, sie

zusammenseßt und schöner formt, bedarf es eines ähnlichen prometheischen Funkens. Allein wie viele Stufen gibt es nicht zwischen der Unwissenheit, die an einer Bildsåule nur die Glåtte des Marmors begafft, und dem Genie, das mit unnennbarem Entzücken die Phantasie Polyklet's darin ahnet? Zwischen jenem Landmanne, der sich scheute, die Herren auf der Bühne zu behorchen und dem Hochbegabten, der in der Seele des Schauspielers von einem Augenblicke zum andern den Ausdruck des Empfundenen von der Urtheilskraft regieren sieht? Wenn auch die allgemeine Bewunderung einem &chten Meisterwerke huldigt, so ist es darum noch nicht ausgemacht, daß gerade das Eigenthümliche, was nur des Künstlers Geistesgröße ihm geben konnte, den Sinn der Menge hinreißt. Wir ehren im unerreichbaren Shakespeare den kühnsten Dichterflug und den treffendsten Wahrheitssinn; was dem Parterre und den Galerien in London an seinen Schauspielen die höchste Befriedigung gewährt, dürfte leicht etwas anderes sein. Doch ich habe ja wohl eher sogar den Kenner gesehn, der über Minerven's Helm Minerven selbst vergaß. An einem Gemälde Raphael's, wo seine hohe Ahnung des Göttlichen aus den Gesichtszügen strahlte, sah ich einen großen Kunstlehrer Proportionen bewundern! Befrage nur die wortgelehrten Kommentatoren um die Schönheit römischer und griechi= scher Dichter, wenn Du erstaunen willst, daß sie in der Wahl kurz und langsylbiger Wörter, in der Mischung der Dialekte, in hundert Artigkeiten, wo Du sie nie gesucht hättest, besteht. Laß doch Leute von Geschmack Dirs erklären, daß Göthen's Iphigenia Dich entzückt, weil Euripides zuerst eine schrieb. Und wenn ein Hamlet, oder ein Lear, oder ein Macbeth vor Dir auftritt, wie der Dichter selbst sich nie träumen ließ, daß man fie darstellen könnte; so vernimm von einem Kunstverständigen des Theaters den belohnenden Ausruf seiner höchsten Zufriedenheit: er hat sich trefflich einstudirt.

Wahrlich! wåre fremde Anerkennung des eigenthümlichen Verdienstes der einzige Lohn, um welchen der große Künstler arbeiten möchte, ich zweifle, ob wir dann je ein Meisterwerk ge= sehen hätten. Ihn muß vielmehr, nach dem Beispiele der Gottheit, der Selbstgenuß ermuntern und befriedigen, den er sich in seinen eigenen Werken bereitet. Es muß ihm genügen, daß in Erz, in Marmor, auf der Leinewand oder in Buchstaben seine große Seele zur Schau liegt. Hier fasse, wer sie fassen kann.

Ist das Jahrhundert ihm zu klein, gibt es keinen unter den Zeitgenossen, der im Kunstwerke den Künstler, im Künstler den Menschen, im Menschen den schöpferischen Demiurg erblickte, der eins im andern bewunderte und liebte, und alles, den Gott und den Menschen, den Künstler und sein Bild, in den Tiefen feines eigenen verwandten Wesens hochahnend wiederfånde: so führt doch der Strom der Zeiten endlich das überbleibende Werk und die gleichgestimmte Seele zusammen, die dieser große Einklang füllt und in die lichte Sphäre der Vollkommenheit entzückt.

'Auf diesen Vortheil aber, möge er viel oder wenig gelten, muß derjenige Künstler Verzicht thun, der weder im Materiellen arbeitet, noch durch konventionelle Zeichen sein Geisteswerk der Nachwelt überliefern kann, weil er selbst sein eignes Kunstwerk ist, weil in seiner persönlichen Gegenwart die Aeußerung alles dessen beschlossen liegt, was er mit eigenthümlicher Sinneskraft Individuelles aus der Natur um ihn her auffassen und mit dem lebendigmachenden Siegel seines Geistes stempeln konnte, weil endlich mit ihm selbst seine Kunst und jede bestimmte Bezeich= nung ihres Werthes stirbt. Der Natur den Menschen nachzubilden, nicht blos seine körperlichen Verhältnisse, sondern auch die zarteren Spuren des in seiner Organisation herrschenden Geistes so hinzustellen, daß sie in unserer Phantasie Eingang finden, dieses schöne Ziel der Kunst erreicht sowohl der Dichter als der Bildner, ein jeder auf seinem besondern Wege. Doch den Bildern eignes Leben einzuhauchen, ihnen gleichsam eine Seele zu leihen, die mit der ganzen Kraft ihrer Verwandtschaft in uns wirkt; dies vermag nur der Schauspieler, indem er seine eigenen Züge, seinen Gang und seine Stimme, seinen ganzen Körper mit seiner Lebenskraft in das Wesen, das er uns mittheilen will, hineinträgt, indem er sich mit diesem Idéal, das er zuvor sich aus der Natur abzog, identificirt und vor unsern Augen mit dem Charakter auch die Handlungsweise, die ganze Aeußerungsart, ja sogar die Gestalt eines Undern annimmt. Wenn nun die Schöpfungen anderer Künstler nach Jahrtausenden noch bestehen und eben das wirken, was sie neu aus der Hand des Meisters wirkten; so ist hingegen die Empfänglichkeit, die Sonderungsgabe, die bildende Energie des großen Schauspie lers, die nicht langsam und allmålig an ihrem Werke fortarbeitet, bessert, åndert, vervollkommnet, sondern im Augenblick des

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