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vor sich gehen foll. Ein wahrer Deus ex machina ist herabgefahren, um die Bande zu lösen, die uns an den Haag ge= feffelt hielten. Morgen um zwölf Uhr stehen wir auf dem Admiralitätswerft in Amsterdam und sehen den neuen Triton vom Stapel laufen; kaum bleibt uns so viel Zeit, daß wir von jedermann Abschied nehmen und uns über den Schmerz der allzu frühen Trennung beklagen können.

XXV.

Amsterdam.

In einer Nacht hat sich unser Schauplag so sehr verändert, daß nichts gegenwärtig Vorhandenes eine Spur des gestrigen in unserm Gedächtniß weckt. Wir leben in einer andern Welt, mit Menschen einer andern Art. Wir haben zwei Schauspiele gesehen, die ich Dir zu schildern wünschte, um Deiner Einbildungskraft den Stoff zu einigen Vorstellungen von Amsterdam zu liefern. So spát es ist, will ich es noch diesen Abend verfuchen; die Gespenster des Gesehenen sind noch wach in meinem Kopf und gönnen mir keine Ruhe.

Wir standen auf dem Werft der Admiralitåt; uns zur Seite stand das prächtige Arsenal, ein Quadrat von mehr als zweihundert Fuß, auf achtzehntausend Pfählen ruhend, und ganz mit Wasser umflossen. Schon waren wir durch seine drei Stockwerke gestiegen und hatten die aufgespeicherten Vorräthe für ganze Flotten gesehen. In bewundernswürdiger Ordnung lagen hier, mit den Zeichen jedes besondern Kriegsschiffs, in vielen Kammern die Ankertaue und kleineren Seile, die Schiffblöcke und Segel, das grobe Geschüß mit seinen Munitionen, die Flinten, Pistolen und kurzen Waffen, die Laternen, Kompasse, Flaggen, mit Einem Worte alles, bis auf die geringsten Bedürfnisse der Ausrüstung *). Vor uns breitete sich die unermeßliche

*) Dieses ganze Gebäude mit allen seinen Vorräthen brannte im Jahr 1791 ab, wodurch dem Staat ein Verlust von etlichen Millionen verursacht worden ist.

Wasserfläche des Hafens aus, und in dåmmernder Ferne blinkte der Sand des flachen, jenseitigen Ufers. Weit hinabwärts zur Linken hob sich der Wald von vielen tausend Mastbäumen der Kauffahrer; die Sonnenstrahlen spielten auf ihrem glänzenden Firniß. Am Ufer und nah und fern auf der Rhede lagen theils abgetakelt und ohne Masten, theils im stolzesten Aufpuß mit der Flagge, die im Winde flatterte und dem langen, schmalen Wimpel am obersten Gipfel der Stengen, die größeren und kleineren Schiffe der holländischen Seemacht. Wir ehrten das Bewußtsein, womit uns der Hafenmeister die schwimmenden Schlösfer zeigte und mit Namen nannte, deren Donner noch zuleßt so rühmlich für Holland auf Doggersbank erscholl. Mit ihm bestiegen wir den Moris von vierundsiebenzig Kanonen, ein neues Schiff, das schon im Wasser lag, und staunend durchsuchten wir alle Räume, wandelten umher auf den Verdecken und betrachteten den Wunderbau dieser ungeheuren Maschine. Zur Rechten lagen die Schiffe der ostindischen Kompagnie bis nach der Insel Osterburg, wo ihre Werfte sind. Die ankommenden und auslaufenden Fahrzeuge, sammt den kleinen rudernden Booten belebten die Scene. Um uns her auf dem geräumigen Werfte feierten die Tausende von Kattenburgern *) von ihrer Ar beit; in mehreren großen und kleinen Gruppen ging und stand die zehntausendköpfige Menge von Zuschauern; ein buntes Gewühl von See- und Landofficieren in ihren Uniformen, von Zimmerleuten in ihrem schmußigen Schifferkostume, von můßigen, umhertobenden Knaben, von ehrsamen amsterdamer Bürgern und Frauen, von Fremden endlich, die aus allen Ländern Hier zusammentreffen und einander oft so sehr überraschen, wie uns hier eben jeßt die Erscheinung unseres R. aus Göttingen.

Endlich naht der entscheidende Augenblick heran. stellt uns vorn an den Kiel der neuen Fregatte, so nah daran, daß der getheerte Bauch über unseren Köpfen schwebt. Völlig sicher stehen wir da und bewundern diese Kunst der Menschen, die jeden Gedanken von Gefahr entfernt. Könnte das Schiff umwerfen, statt abzulaufen, so lågen hier Hunderte von uns zerschellt. Jest werden die Blöcke weggeschlagen, worauf es noch rüht; jeht treibt man hinten einen Keil unter, um es dort hd

*) Die Einwohner der Insel Kattenburg, worauf die Admiralitätswerste liegen, find mehrentheils Arbeiter in denselben.

her zu heben; man kappt das Tau, woran es noch befestigt war und nun, als fühlte der ungeheure Körper ein eigenes Leben, nun fångt er an, erst langsam und unmerklich, bald aber schneller sich zu bewegen; schon krachen unter ihm die kleis nen, untergelegten Breter, und sieh! jest gleitet er mit immer zunehmender Geschwindigkeit ins Meer! Tief taucht sich der Schnabel ein, bis das Wasser die ganze Masse trågt; eben so tief versinkt jest wieder das Hintertheil; die Fluthen laufen hoch am Ufer hinauf und die umliegenden Schiffe schwanken hin und her. Es jauchzt und frohlockt die Menge der Waghalse, die auf dem neuen Triton über unseren Köpfen wegfahren; sie schwenken ihre Hüte und ein lauteres Jubelgeschrei vom Lande übertónt ihre Stimmen. So hebt sich himmelan das Herz von stolzer Freude über das Wollen und Vollbringen des menschlichen Geistes!

Ich weile noch einen Augenblick auf diesem Schauplag der umfassendsten Geschäftigkeit; denn sie ist es, der die Stadt und selbst die Republik ihr Dasein und ihre Größe verdanken, und in der Betrachtung dieses Phänomens werden zugleich die Haupts züge des Nationalcharakters offenbar. Welches andere Volk in Europa håtte den ausdauernden Muth gehabt, mit Philipp dem Tyrannen, dem mächtigen Beherrscher beider Indien und seinen Nachfolgern den achtzigjährigen Krieg zu führen? Welches Volk håtte nicht in dem unglücklichen Jahr 1672, als Ludwig der Vierzehnte schon bis Muiden vorgedrungen war, ich will nicht sagen, sich ergeben, sondern zu zahlen aufgehört? Nur mit ih ren durch den Handel erworbenen und concentrirten Kräften, mit ihren vorsichtig aufgehäuften Materialien zum Schiffbau und zur Ausrüstung ihrer ungeheuren Flotten, konnten die Niederländer so lange der vereinigten Seemacht von Frankreich und England die Spike bieten; allein ohne die freiwillige Einschrånkung auf die ersten Bedürfnisse des Lebens, diese hohe Republis kanertugend, die hier wenigstens in eben dem Maaße raisonnirt als klimatisch und körperlich war, hätten sie zu einem solchen Langwierigen Wettstreit weder physische Kräfte noch Stärke der Seele gehabt. Wahrlich, die Besonnenheit, die mit unermüdetem Fleiße, mit dem redlichen Bestreben nach einem Vermögen, welches der Erwerb ihrer eigenen Hånde sei, mit Geschicklichkeit in den mechanischen Künsten und Talent zu ihrer Vervollkomm nung, mit Kühnheit auf dem Meere, mit Tapferkeit im Kampfe,

mit Standhaftigkeit in Gefahr, mit Beharren in Widerwärtigkeit, mit Enthaltsamkeit im Ueberfluß und, was über dieses alles geht, mit unauslöschlicher Freiheits- und Vaterlandsliebe verbunden ist die darf man wohl etwas mehr als bloßes Phlegma nennen!

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Also nicht dem Auge allein, sondern auch dem Verstand erscheint Amsterdam von der Wasserseite in seinem höchsten Glanze. Ich stelle mich in Gedanken in die Mitte des Hafens und betrachte links und rechts die Gruppen von vielen hundert Schiffen aus allen Gegenden von Europa; ich folge mit einem flüchtigen Blick den Küsten, die sich nach Alkmaar und Enkhuisen erstrecken und auf der andern Seite hin den Bufen des Terels bilden. Die Stadt mit ihren Werften, Docken, Lagerhäusern und Fabrikgebäuden; das Gewühl des fleißigen Bienenschwarmes långs dem unabsehlichen Ufer, auf den Straßen und den Kanálen; die zauberähnliche Bewegung so vieler segelnden Schiffe und Boote auf dem Südersee und der rastlose Umschwung der Tausende von Windmühlen um mich her welch ein unbeschreibliches Leben, welche Grenzenlosigkeit in diesem Anblick! Handel und Schifffahrt umfassen und benußen zu ihren Zwecken so manche Wissenschaft; aber dankbar bieten sie ihr auch wieder Hülfe zu ihrer Vervollkommnung. Der Eifer der Gewinnsucht schuf die Anfangsgründe der Mathematik, Mechanik, Physik, Astronomie und Geographie; die Vernunft bezahlte mit Wucher die Mühe, die man sich um ihre Ausbildung gab; sie knüpfte ferne Welttheile an einander, führte Nationen zusammen, häufte die Produkte aller verschiedenen Zonen und immerfort ver mehrte sich dabei ihr Reichthum von Begriffen; immer schneller ward ihr Umlauf, immer schärfer ihre Läuterung.. Was von neuen Ideen allenfalls nicht hier zur Stelle verarbeitet ward, kam doch als roher Stoff in die benachbarten Länder; dort verwebte man es in die Masse der bereits vorhandenen und ange= wandten Kenntnisse, und früher oder spåter kommt das neue Fabrikat der Vernunft an die Ufer der Amstel zurück. Dies ist mir der Totaleindruck aller dieser unendlich mannigfaltigen, zu Einem Ganzen vereinigten Gegenstände, die vereinzelt und zergliedert so klein und unbedeutend erscheinen. Das Ganze freilich bildet und wirkt sich ins Dasein aus, ohne daß die Weiseften und Geschäftigsten es sich träumen ließen; sie sind nur kleine

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Triebfedern in der Maschine und nur Stückwerk ist ihre Arbeit. Das Ganze ist nur da für die Phantasie, die es aus einer gewissen Entfernung unbefangen beobachtet und die größeren Resultate mit künstlerischer Einheit begabt; die allzu große. Nähe des besonderen Gegenstandes, worauf die Seele jedes Einzelnen, als auf ihren Zweck, sich concentrirt, verbirgt ihr auch des Ganzen Zusammenhang und Gestalt.

Nachmittags machten wir nach unserer Gewohnheit einen Spaziergang durch die Stadt. Die Aussicht von der Amstelbrücke hålt den Vergleich mit der Maas bei Rotterdam nicht aus; dagegen sind die Hauptstraßen an den großen Kanålen (Heerengraft, Prinsengraft, Keyzersgraft u. a. m.) weit länger und breiter als selbst der schöne Boompaes, und ihre Häuser find großentheils Palåste. In einer kleinen Stadt fållt das Gewühl mehr auf, als hier, wo man Raum hat einander auszuweichen; allein es gibt auch in Amsterdam Gegenden, wo man sich nur mit Mühe durch das Gewimmel in den engen Gaffen durchdrången kann. Den ganzen Tag herrscht überall ein unaufhörliches Getöse; die unzähligen Equipagen der Bürgermeis ster und Rathsherren, Staatsbeamten, Direktoren der ostindi schen Kompagnie, Aerzte und üppig gewordenen Reichen, der ununterbrochene Waarentransport und die deshalb so oft aufgezogenen Zugbrücken sperren den Weg und verursachen ein bestän diges Rufen und Geraffel; vom frühen Morgen an schreien Männer und Weiber auf allen Straßen mancherlei Sachen zu verkaufen aus; die Kirchthürme haben Glockenspiele, und des Abends wandern Leiermänner und singende Weiber umher.

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Im Rathhause, diesem großen, prächtigen, mit architektonischen Zierrathen und Fehlern überhäuften Gebäude, welches. gleichwohl einige sehr schöne Såle und Zimmer enthält, sahen wir unter vielen Gemålden eins von Rembrandt und eins von van Dyk, die als Portraitsammlungen einen hohen Rang behaupten. Es ist auffallend, wie die besten Stücke von Bakker, Flinck, van der Helst, Sandraert und andern guten Malern wegfallen, wenn man den van Dyck gesehen hat. Composition ist indeß in keinem; denn es sind lauter an einander gedrängte Bildnisse von bekannten Månnern, manchmal vierzig, funfzig und noch mehr auf Einem Gemälde. Die allegorischen Schil dereien und Bildsäulen, sowohl im Gerichtssaal als im großen Bürgersaal und in der Bürgermeisterkammer, sind leider keine

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