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Empfangens schon vollendete Geburten in ihm selbst offenbart, auf die bestimmteste Weise nur für das Gegenwärtige berechnet. So glänzend ist der Anblick dieses Reichthums in eines Menschen Seele, so hinreißend das Talent, ihn auszuspenden, daß seine Vergånglichkeit kaum befremdet. Man erinnert sich an jene prachtvollen Blumen, deren Fülle und Zartheit alles übertrifft, die in einer Stunde der Nacht am Stångel der Fackeldistel prangen und noch vor Sonnenaufgang verwelken. Dem so zart hingehauchten Leben konnte die Natur keine Dauer verleihen; und sie warf es in unfruchtbare Wildnisse hin, sich selbst genügend, unbemerkt zu verblühen, bis etwa ein Mensch, wie ich das Wort verstehe, das seltenste Wesen in der Schöpfung, es findet und der flüchtigen Erscheinung genießt.

Es reicht über den Kreis des Dilettanten hinaus, der Humanität des Künstlers ein Denkmal zu errichten, wenn diese Begeisterung, wozu sein Anblick erwecken konnte, nicht etwa die Stelle vertritt. Du kennst ihn schon; es ist unser J. Du wirst ihn sehen und ihm danken; das ist des Kommens werth.

V.

Düsseldorf.

Das finstre, traurige Köln haben wir recht gern verlassen. Wie wenig stimmt das Innere dieser weitläufigen, aber halb entvolkerten Stadt mit dem vielversprechenden Anblick von der Flußseite überein. Unter allen Städten am Rhein liegt keine so uppig hingegossen, so mit unzähligen Thürmen prangend da. Man nennt sowohl dieser Thürme als überhaupt der Gotteshäuser und Altåre, eine so ungeheure Zahl, daß sie meinen Glauben übersteigt. Gleichwohl ist neben so vielen kein Plågchen mehr übrig, wo die Christen, die den Pabst nicht anerkennen, ihre Andacht frei verrichten dürfen. Der Magistrat, der den Protestanten bereits die freie Religionsübung innerhalb der Ringmauern bewilligt hatte, mußte seine Erlaubniß kürzlich wieder zurücknehmen, weil der Aberglaube des Pöbels mit Aufruhr,

Mord und Brand drohte. Dieser Pöbel, der beinahe die Hälfte der Einwohner, also einen Haufen von zwanzigtausend Menschen ausmacht, hat eine Energie, die nur einer bessern Lenkung bedürfte, um Köln wieder in einiges Ansehn zu bringen. Traurig ist es freilich, wenn man auf einer Strecke von beinahe dreißig deutschen Meilen so manche zum Handel ungleich vortheilhafter als Frankfurt gelegene Stadt erblickt und es sich nun nicht långer verbergen kann, daß mehr oder weniger eben dieselben Ursachen überall dem allgemeinen Wohlstande kräftigst entgegengewirkt haben, der sich nur in Frankfurt entwickeln konnte.

In Köln sollen viele reiche Familien wohnen; allein das befriedigt mich nicht, so lange ich auf allen Straßen nur Schaaren von zerlumpten Bettlern herumschleichen fehe. So oft ich hingegen nach Frankfurt komme, weide ich mich mit herzlichem Genuß am Anblick des gemeinen Mannes, der fast durchgehends geschäftig, reinlich und anständig gekleidet ist. Der Fleißige, der seine Kräfte rechtschaffen anstrengt, um hernach seines Erwerbes froh zu werden, ihn mit den Seinigen zu theilen, regelmäßig mit ihnen einfache, gute Kost zu genießen und mit ganzem Rocke zu erscheinen dieser Arbeitsame ist unstreitig sittlicher, gesunder und glücklicher als der Müßiggånger, er ist ein Mensch, wo dieser nur ein Thier, und zwar mit menschlichen Anlagen ein desto gefährlicheres Thier ist. Bekanntlich geht die Unsittlichkeit der Bettler in Köln so weit, daß sie den Müßiggang systematisch treiben und ihre Pläße an den Kirchthüren erblich hinter= laffen oder zum Heirathsgut ihrer Töchter schlagen. In der Osterwoche ist es gewöhnlich, daß die Armen, die sich schẳmen, öffentlich zu betteln, in schwarze Kittel vermummt und mit einem Flor über dem Gesicht, auf die Straße gehen, niederknien, den Rosenkranz beten und die Vorübergehenden um Almosen anrufen. Man nennt diese Leute hier mit einem eigenen Namen Kappengecken, und ihr widerlicher Aufzug ist so auffal= lend, daß die halbnackten Straßenkinder ihre zerrissenen Hemdchen sich über den Kopf schlagen, um ihnen diese Mummerei nachzumachen.

Wer begreift nicht, daß die zahlreiche Bande von sittenund gewissenlosen Bettlern, die auf Kosten der arbeitenden Klasse leben, hier den Ton angeben muß? Allein da sie tråge, unwif= send und abergläubisch ist, wird sie ein Werkzeug in der Hand ihrer theils kurzsichtigen, sinnlichen, theils rånkevollen, herrsch

begierigen Führer. Die Geistlichen aller Orden, die hier auf allen Wegen wimmeln und deren ungeheure Menge auf einen Reisenden immer einen unangenehmen Eindruck macht, könnten zur Moralität dieser rohen, ungezügelten Menge auf das heilsamste wirken, könnten sie zum Fleiß, zur Ordnung anführen und ihnen billige Gesinnungen gegen ihre anders denkenden Mitbürger, ein Gefühl von Ehre und Schande, von Eigenthum und Recht einimpfen. Dies und noch weit mehr könnten, sollten sie thun, da sich ihr Stand nur durch diese Verwendung für das gemeine Beste zur Existenz legitimiren kann. Allein sie thun es nicht und find! Die Bettlerrotten sind ihre Miliz, die fie am Seil des schwärzesten Aberglaubens führen, durch kårglich gespendete Lebensmittel in Sold erhalten und gegen den Magistrat aufwiegeln, sobald er ihren Absichten zuwider handelt. Es ist wohl Niemand so unwissend, daß er noch fragen könnte, wer den Pöbel gereizt habe, sich der Erbauung eines protestantischen Gotteshauses zu widersehen?

Soeben sind auch von der kölnischen Klerisei an ihren Kurfürsten Vorstellungen ergangen, worin er im Namen der ächten rechten Lehre aufgefordert wird, dem Professor der Philosophie in Bonn den Gebrauch des Feder'schen Handbuchs bei seinen Vorlesungen zu untersagen. Unter andern Argumenten heißt es in ihrer Schrift, daß Feder von den Protestanten selbst für heterodor gehalten werde; eine Behauptung, die im protestantischen Deutschland unerhört ist, da es schon im Wesen des Protestantismus liegt, daß darin die verabscheuungswürdigen Unterschiede von Orthodorie und Heterodoxie gar nicht stattfinden können. Wie es scheint, erlaubt man sich also in Köen den Grundsak, daß gegen den Feind alle Vortheile gelten; und in einer Sache, wo es keinen haltbaren Grund gibt, in der Sache geistlicher Verfolgungssucht, ist freilich das schlechteste Argument so viel werth wie jedes andere, sobald man es nur geltend machen kann. Der Gewissenhafte, der sich bemüht, der strengen Wahrheit und der Vernunft treu zu bleiben, kommt gegen einen Widersacher nicht auf, welcher wissentlich zu täuschen und zu übertäuben sucht und zu seinem Zwecke alle Mittel für er= laubt hålt.

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Die Zeiten, sagt man, find vorbei, da der Scholastiker fragen durfte, was Aristoteles von diesem oder jenem Geheimnisse der katholischen Lehre, zum Beispiel von der Jungfrauschaft

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der Mutter Gottes, gehalten habe? Ich hingegen behaupte, daß diefe Zeiten nie ganz aufhören können, so lange es kein Mittel gibt, den Menschen Ehrfurcht gegen das Edelste, was ihrer Na= tur zum Grunde liegt, gegen ihre eigene Vernunft, einzuflößen. Wo diese Ehrfurcht fehlt, da wird man sich immerfort Unge= reimtheiten erlauben, da wird man, sobald politische Verhältnisse es gestatten, intolerant sein und die Gewissen mit Zwang beherrschen wollen. Wenn nicht diese verkehrte Herrschbegierde die Triebfeder der widersprechendsten Aeußerungen wåre, so müßte man sich ja wundern, wie es nur möglich ist, daß irgend einer Geistlichkeit nicht alle philosophische Lehrbücher höchst gleichgültig sein sollten. Die Philosophie muß sich schlechterdings nur auf das Begreifliche, auf das Erweisliche einschränken; da hingegen die Theologie unbegreifliche Mysterien lehrt, welche nicht demonftritt, sondern geglaubt werden müssen, vermittels eines Glaubens, der die unbedingte Gabe der Gottheit ist. Soll man nun doch das Unbegreifliche demonstriren, das heißt begreiflich machen? Einen platteren Widerspruch gibt es nicht.

Wie mag es aber wohl kommen, daß man heutiges Tages® zu folchen Widersprüchen seine Zuflucht nimmt? So viel ich sehe, liegt eben darin ein auffallender Beweis der Schwäche, deren sich die Herren bewußt sein müssen. Wenn man versinken will, hascht man begierig auch nach dem Strohhalm, der doch Niemanden retten kann. Ehedem verfuhren sowohl die weltlichen als die kirchlichen Despoten ganz anders. Sie ließen es ihre geringste Sorge sein, die Vernunft mit ihren Aussprüchen in Harmonie zu bringen, brauchten Gewalt, wo sie ihnen in die Hånde fiel und erstickten dann die Keime des Denkens. Aber hier und dort ist ihnen ein Samenkörnchen entgangen und zu einem schönen Baume aufgesproßt, unter dessen Schatten sich die Völker schon sammeln. Mit Schrecken und Abscheu bebt man bereits vor Jedem zurück, der unsere freie Willkür, es sei worin es wolle, beschränken möchte und am allermeisten vor Dem, der ein Interesse hat, etwas unbegreifliches als positive Wahrheit anerkannt zu wissen. Ein Mensch kann dem andern nicht gebieten, was er thun soll, als in so fern dieser es für gut findet, sich befehlen zu lassen; wie viel widerrechtlicher also, wenn Jemand gebieten will, was man glauben soll, und denen, die das Gebotene nicht glauben können oder nicht glauben wollen, die Rechte schmålert, die ein Mensch dem andern nicht nehmen

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darf, die ein Bürger dem andern garantirt. In dieser Lage der Sachen ist es so befremdend nicht, daß man jezt einen leßten Versuch macht, ob man nicht noch die angehenden Den= ker selbst durch ein Gewebe von betrüglichen Schlüssen hintergehen und einfangen könne. Allein die Vernunft råcht sich an denen, die sie so lange verachteten und verfolgten; und wenn Jemand mit der Demonstrationsmethode, die im vorigen Jahrhundert noch gut genug war, jest auftritt, so nimmt es sich ungefähr fo aus, wie ein Kind, das einen Erwachsenen mit eben dem Popanz schrecken will, vor welchem seine Spielkameraden liefen.

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Das sicherste Zeichen eines zerrütteten, schlecht eingerichteten, kranken Staats hat man immer daran, wenn er eine große Menge Müßiggånger nåhrt. Der Fleißige, der die Früchte seines Schweißes mit diesen Raubbienen theilen muß, kann sich endlich des Gedankens nicht erwehren, daß man die unbilligste Forderung an ihn thut, indem man seiner Redlichkeit die Strafe auferlegt, die eigentlich strafwürdigen Faullenzer zu füttern. Dié natürliche, unvermeidliche Folge dieser Reflexion ist, wenn man fich zu schwach fühlt, dem Uebel abzuhelfen, eine tödtliche Gleichgültigkeit gegen das gemeine Beste, gegen die Verfassung selbst. Welcher Staat kann public spirit von seinen Bürgern erwarten, wenn er sie mißhandelt? Es ist gleichviel, ob ein Despot oder eine Horde von Bettlern die Freiheit des arbeitsamen, tugendhaften Bürgers vernichtet, diese Ungerechtigkeit muß der Staat allemal büßen. Aus gleichgültigen, kalten Mitgliedern des Ganzen werden die Hintangefeßten und Gedrückten bald auch zu moralisch schlechteren Menschen. Das Beispiel steckt an, und gegen die Uebermacht gewiffenloser Müßiggånger scheinen Betrug und List und Ränke ihnen bald die erlaubteste und sicherste Gegenwehr. Was die Bettler auf der einen Seite rauben, das müssen Betrogene auf der andern Seite wieder ersehen. Auf diese Art schleicht unvermerkt das Gift der Sittenlosigkeit durch alle Stände und verderbt endlich die ganze Masse. Die Vernunft wird entbehrlich, wo die Begriffe von Recht und Billigkeit dem Eigennuge weichen müssen; Alles versinkt in jene sinnliche Abspannung, die das Laster unvermeidlich macht und bei den nachfolgenden Krämpfen des Gewissens dem lauernden Aberglauben gewonnenes Spiel gibt.

Nirgends erscheint der Aberglaube in einer schauderhafteren Gestalt als in Köln. Jemand der aus unserm aufgeklärten

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