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jeder in die gemeinschaftliche. Masse bringt, was er auf seinem Wege fand, es sei nun Gold oder Wissenschaft. Die Anzahl der Interessenten soll sich gegenwärtig beinahe auf eintausend belaufen.

Wie ungeduldig oder wie spôttisch würde man bei dieser Erzählung in vielen Gesellschaften fragen, ob denn dieses Institut gar keine Mängel habe? Es ist so leicht, indem man tadelt, einige Kenntnisse geltend zu machen, daß man gewöhnlich zuerst an allen Dingen das Fehlerhafte hervorsucht und darüber oft ihre wesentlichen Vorzüge vergist; recensiren und tadeln sind daher im Wörterbuche manches jungen Gelehrten vollkommene Synonymen. Ich gebe zu, daß eine strenge Prüfung auch hier verschiedene Gebrechen entdecken würde; allein ich kann mir jest den Genuß nicht schmålern lassen, den ein so lebhafter Enthus siasmus für das Gute gewährt. Man nannte uns einige de mokratisch gesinnte Kaufleute als die Hauptstüßen dieses Unter nehmens. Die heitere Aussicht in die Zukunft, welche diese Anwendung ihrer Kapitalien ihnen eröffnet, sollte ihnen das trau rige Andenken an ihre mißlungenen politischen Plane aus dem Sinne schlagen helfen. Es kann nun gleichgelten, welche Partei das Recht auf ihrer Seite hatte: das erste Bedürfniß des Staa-tes ist Aufhellung der Begriffe und Läuterung des Geschmackes; denn nur auf diesem Wege wird ein richtiges Urtheil über das wahre Interesse des Bürgers möglich. Unwissenheit ist der große allgemeine Unterdrücker aller gesellschaftlichen Verträge, und die sen zu stürzen durch sanste, wohlthätige Verbreitung des Lichtes der Vernunft, ist fürwahr die edelste Rache.

Reine Vaterlandsliebe kann überall nur das Eigenthum einer geringen Anzahl von Auserwählten sein und in unseren Zeiten, wo auf der einen Seite blinde Anhänglichkeit an altes Herkommen, auf der andern tiefes Sittenverderbniß und vermessene Neuerungssucht herrschen, wäre es kein Wunder, wenn diese erhabene Tugend beinahe gänzlich ausgestorben schiene. Der Kampf des unvernünftigen Vorurtheils mit aufgeblasenem Halbwissen bringt überall der wahren Bildung der Nationen mehr Schaden als Gewinn, und hält die Menschheit vom Ziele ihrer Vervollkommnung entfernt. Ohne die zarteste Reizbarkeit des moralischen Gefühls kann die Entwickelung der übrigen Geisteskräfte genau so gefährlich werden, als ihre Vernachlässigung es bis dahin gewesen ist; die Ertódtung aber jenes Gefühls, diese

unverzeihliche Sünde des religiösen und politischen Despotismus, der die Menschheit in den Ketten der mechanischen Gewöhnung gefangen hålt, bereitet jene furchtbaren Zerrüttungen vor, die von der jeßigen Art der Fortschritte im Denken unzertrennlich find. In Holland hålt die Orthodorie gebunden, was die freiere Staatsverfassung vor weltlicher Uebermacht beschüßte. Natürlicherweise ging daher das Bestreben der wenigen redlich gesinnten Patrioten auf die Befreiung des Volkes vom schweren Joche der Meinungen; sie wünschten den Einfluß der orthodoren Geistlichkeit zu vermindern und den Zeloten unter ihnen Schranken zu sehen. Allein diesen uneigennüßigen Charakter konnte die Partei nicht beibehalten, sobald sie das Süße der Herrscherrolle gekostet hatte; um die Oberhand, um das Ruder im Staate, galt der Kampf, und eine Aristokratie wollte die andere vertreiben. Im Taumel des Sieges hätte man die Stimme der MåBigung nicht gehört und manchen willkürlichen Schritt gethan, die Herrschaft der Vernunft zu erweitern, die gleichwohl nur über freiwillige Untergebene gebieten kann. Der Hof kannte die Macht der Geistlichkeit über die Majoritát der Gemüther; er wußte sich diese Stüße zu sichern und gab dadurch einen Beweis von Regentenklugheit, den man nur deshalb weniger achtet, weil er nicht ungewöhnlich ist. Thörichter kann in der That kaum eine Forderung sein als diese, die man jezt so oft machen hört, daß in einem Zeitpunkte, wo Eigennus und Privatintereffe mehr als jemals die Götter des Erdenrundes geworden sind, gerade die Fürsten der Lieblingsneigung des menschlichen Herzens, der Herrschsucht und den Mitteln, wodurch sie ihrer Befriedigung sicher bleiben, freiwillig entsagen sollen.

Die Vernunft der Wenigen, die ein Herz siz zu wärmen hatten, ist auch hier zu der edeln Reife gediehen, die sich selbst genügt, still und ruhig wirkt, auf Hoffnung fået und mit Vertrauen harrt. In schwächeren Köpfen gährt und braust der Reichthum neuer und heller Begriffe mit den ungezähmten Leidenschaften und gebiert riesenhafte Entwürfe, wilde Schwärmerei, ungeduldigen Eifer. Das Volk ist nirgends, mithin auch hier nicht, reif zu einer dauerhaften Revolution, weder der kirchlichen noch der politischen Verfassung; überall fehlt das Organ, wodurch der Geist der Gährung in dasselbe übergehen, sich mit ihm verbinden und eine gemeinschaftliche, vorbereitende Stimmung bewirken foll; überall scheitern die Versuche, sowohl der namenlosen

Ehrgeizigen, als der größten Menschen, eine neue Ordnung der Dinge einzuführen. In Holland herrscht noch die intolerante Synode von Dordrecht, und ein Hofstede darf ungestraft verfol gen, verurtheilen und verfluchen. Selbst in England wagt es die geseßgebende Macht nicht mehr, seit Gordon's Aufruhr zu Gunsten der bedrückten Religionsparteien etwas zu unternehmen. Was Friedrich der Große und Joseph der Zweite in ihren Staaten der Vernunft einräumen wollten, wird entweder von ihren Nachfolgern vorsichtig zurückgenommen oder von ihren Unterthanen ungestům vernichtet. Hier müssen allmålig Religionsedikte und Katechismusvorschriften erscheinen; dort (in Brabant) wiegelt der Elerus das Volk zur Empórung auf und usurpirt die Rechte des Regenten. In Italien versinkt die Synode von Pistoja in ihr voriges Nichts; am Rhein wird an Joseph's Sterbetage die Emser Punktation zerrissen. Spanien und Portugal schlafen noch den Todesschlaf der betäubten Vernunft, und ob in Frankreich die Heiligkeit der Hierarchie versinken wird vor der größern Heiligkeit des Staatskredits, liegt noch vom Schleier der Zukunft tief verhüllt. Diese allgemeine Uebereinstimmung ist nicht das Werk des Zufalls: eine allgemeine Ursache bringt sie hervor; und warum wollten wir der Politik den Sinn absprechen, die Zeichen der Zeit zu erkennen? Warum wollten wir von der Weisheit der Kabinette verlangen, daß sie eher das unmündige Menschengeschlecht sich selbst überlassen sollte, als jene unverkennbare Majestät der Wahrheit hervorleuchtet, gegen welche die Willkür ohnmächtig und ihr Widerstand eitel ist?

Eine ganz andere Frage ist es aber, ob die herrschende Partei in allen Låndern und von allen Sekten weise handelt, ihre Uebermacht noch jest in ihrem äußersten Umfange geltend zu machen, oder ob es nicht råthlicher wäre, zu einer Zeit, wo sie noch mit guter Art Concessionen machen kann, dem Ge nius der Vernunft ein Opfer zu bringen? Es sei die Bewegung, die einmal entstanden ist, auch noch so schwach, fo ist sie doch durch keine Macht mehr vertilgbar. Vom Druck erhalten Parteien und Sekten ihre Spannkraft; der Widerstand erhärtet ihren Sinn, die Absonderung gibt ihnen Einseitigkeit und Strenge; Mißhandlung macht sie ehrwürdig; ihre Standhaftigkeit im Leiden flößt Enthusiasmus für sie ein; ihre Kräfte, ertensiver Wirksamkeit beraubt, wirken in ihnen selbst subjektive, romantische Tugend. Alsdann bricht plöglich ihr Feuer unauf

haltsam hervor und verzehrt alles, was sich ihm widerseht. Die Revolutionen, welche gewaltsamer Druck veranlaßt, sind heftige, schnelle, von Grund aus umwälzende Krämpfe, wie in der äußern Natur, so im Menschen. Es ist unmöglich, dem Zeitpunkte einer solchen Veränderung zu entgehen; allein ihn weit hinaus zu rücken, bleibt das Werk menschlicher Klugheit, welche die Ge= müther durch Nachgiebigkeit besänftigt und, wo sie nicht überreden kann, wenigstens den Zwist vermeidet, der die unausbleibliche Folge einer unbilligen Behandlung der Andersgesinnten ist.

Die in Holland wieder hergestellte Ruhe hat unlåugbare wohlthätige Folgen für seine innere und äußere Betriebsamkeit hervorgebracht; man hat einem zerrüttenden Bürgerkriege vorgebeugt, dessen Ausgang ungewiß war, der aber in dem jezigen Zeitpunkte, wo England ohnehin schon allen Aktivhandel an sich reißt, unheilbare Wunden geschlagen hätte. Wie sehr ist es nicht bei dieser guten Wendung der Sache zu bedauern, daß die fies gende Partei keine Schonung kannte, sondern sich vielmehr für berechtigt hielt, die beleidigte zu spielen und die Hälfte der Nation für ihre Meinungen zu bestrafen! Meinungen, in so gleichen Schaalen gewogen, daß eine Nation sich ihrentwegen in zwei beinahe gleich starke Hälften theilt, können ohne Ungerech tigkeit keiner von beiden zum Verbrechen gedeutet werden. Man hatte nun einmal auf beiden Seiten das Schwert gezogen für etwas wie chimärisch es immer sei was man für Freiheit hielt. Besiegt zu werden und den Irrthum eingestehen zu müssen, ist unter solchen Umständen schon Strafe genug; hier eine desto empfindlichere Strafe, je gewiffer die besiegte Partei durch. ihre entschiedene Mehrheit ihren Endzweck zu erreichen hoffen durfte, wenn eine fremde Dazwischenkunft nicht der Schaale gegen sie den Ausschlag gegeben hätte. Allein die Rachsucht der Sieger hat in Holland dreihundert der angesehensten Familien zu einer freiwilligen Verbannung aus ihrem Vaterlande_gezwun= gen; fünfhundert andere hat die Entfehung von den Aemtern, die fie bisher bekleideten zu Grunde gerichtet. In Friesland geht die Verbitterung noch ungleich weiter und die häufigen Confiscationen, wären sie auch nur Wiedervergeltungen für den von den Patrioten zuvor verübten Mißbrauch ihrer Uebermacht, erhalten doch dadurch, daß sie nach geschlossenem Frieden gleichfam mit kaltem Blute vorgenommen werden, einen gehässigeren

Anstrich. Auch ist das Feuer, das vorhin aufloderte, noch keis neswegs gedämpft; es glimmt überall unter der Asche und wird durch jede neue Mißhandlung der Patrioten genährt. Das Un denken an empfangene Beleidigungen ist im Busen des Niederlånders beinahe unvertilgbar; der tiefe, mit ihm alternde Groll ist von seinem Charakter unzertrennlich und, wie schon Andere mit Recht erinnert haben, in seiner ganzen Organisation gegrün det. So tief wird schwerlich ein anderer Europåer gekränkt, wie man einen Holländer kränken kann. Diese Kränkungen sind die unzerstörbaren Keime einer neuen Revolution, die nach einem Jahrhundert vielleicht erst reifen wird; allein auch alsdann noch wird die Rache den Kindern der Unterdrückten zurufen: „man schonte eurer Våter nicht!"

In

XXVII.

Helvoetsluis.

In wenigen Stunden gehen wir zu Schiffe; aus dem Fenster, wo ich schreibe, kann ich unser Packetboot liegen und sich durch seinen schlankeren Bau von den kleinen holländischen Fahrzeugen auszeichnen sehn. Während daß die Reisegesellschaft sich hier versammelt, will ich unsere Abschiedsbemerkungen über Holland, auf der Fahrt von Amsterdam hierher, so im Fluge aufzeichnen, wie wir sie im Fluge angestellt haben.

In Amsterdam wie im Haag nahte die Abschiedsstunde zu früh für unsere Wünsche heran. Kaum hatten wir die Hälfte der Merkwürdigkeiten besehen, welche man in dieser großen Stadt den Fremden zu zeigen pflegt, kaum fingen wir an, eine Menge der interessantesten Bekanntschaften zu machen, so erwachte der Maimorgen, auf den unsere Abreise unwiderruflich festgeseßt war. Von allen Regeln, deren Beobachtung dem Reifenden oft unmöglich wird, ist keine so leicht übertreten, als diese gewissenhafte Eintheilung der Zeit, und keine, wobei die Standhaftigkeit der Entschlüsse sich selbst besser belohnt. Wir fuhren um fünf Uhr Morgens mit der Barke nach Harlem. Hier war unser erster Gang zum Landhause des in allen Welttheilen bekannten Herrn

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