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Dabei trägt man noch immer die ekelhaft großen Halstücher, so zusammengeschlagen, daß die obersten Falten mit dem Munde in gleicher Höhe stehen, und es beinahe so viel Kunst erfordert, einen Bissen, ohne das Halsbollwerk zu beschmugen, in den Mund zu steuern, als mit chinesischen Stäbchen zu essen. Ein anderer Grduel des hiesigen Anzuges sind die Schnürbrüste, die fo allgemein wie jemals getragen werden, und jeht nur wegen der fürchterlich hohen Florbusen eine Erkrescenz vor der Brust bilden, welche wenigstens diesen zarten Theil vor Beschädigung fichert, aber zur Schönheit der weiblichen Figur nichts beiträgt. Poschen gehören nur zum vollen Anzuge. Sonst hängt das Kleid so lang und schlank an den Schenkeln herunter, wie nur etwas hången kann. Große baumwollene Tücher tragen die mittleren Stände, und Shawls, in Nottingham, nach den ins dischen verfertigt, die vornehmeren, gegen die kalte Luft. Diese Shawls werden jest weit länger gemacht als ehemals, weil man sie, nachdem sie über der Brust zusammengeschlagen worden find, hinten in einen Knoten schlägt und die Zipfel wie eine Scharpe herabhängen läßt. Große Flortücher mit Blonden oder gehackten Spißen gehören zum vollen Anzuge, der sehr oft aus Crepflor, oder überhaupt ganz weißen Zeugen besteht. Um die Taille schließt sich ein elastischer Gürtel, den die Erfindsamkeit der englischen Pushändler einen Cestus nennt, mit einem Schlosse, oder nach der neuesten Mode, drei Schleifen und brillantirten Knöpfen von Stahl. Anstatt dieses Pußes tragen viele Frauenzimmer eine zur Taille passende, ausgeschweifte Binde von seidenem Stoff und ein breit seidenes Band als Schårpe. Unmöglich kann ich alle die eleganten oder doch pratensionsvollen Negligés und Karakos beschreiben, in denen die Petite - Maitresfen auf der Schaubühne, in den Logen und in Ranelagh und Baurhall erscheinen. Genug die unermüdete Anstrengung der Fabrikanten in Nottingham und Manchester erfindet immer neue Stoffe, und die Modehändlerinnen geben sich die Tortur, um nicht minder erfinderisch zu sein als ihre französischen Nachbarinnen.

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Die Schuhe der Engländerinnen haben das Besondere, daß die Abfäße weiter nach hinten stehen als an unfern französischdeutschen Damenschuhen. Man trägt jest zierliche Rosetten von Stahl darauf, die sehr gut kleiden. Die Herren haben ihre Schnallen meistens mit Springfedern, so daß das Herz von dem

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Theile der Schnalle, der blos für das Auge dient, gänzlich ges trennt ist und nur an einem Charnier, und dann durch eine Feder, damit zusammenhängt.

Durchgehends bemerke ich, daß die Engländer jest die Någel ungeheuer lang wachsen lassen; am långsten und spizigsten die, welche in Ostindien gewesen sind, woher auch die Mode augenscheinlich nach Europa herüber gekommen ist. Man hat wenigstens eben so vornehm. scheinen wollen als ein vornehmer Indier, dessen Någel die Stelle eines Stammbaums vertreten. Es ist aber eine häßliche Mode und ein wahres Emblem der Faulheit, da man mit solchen Krallen unmöglich ein Geschäft verrichten kann, das nur einige Anstrengung erfordert. Aber auf dem Sofa zu fißen und dem lieben Himmel den Tag zu stehlen: dazu sind sie ersonnen.

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Erst um zehn Uhr fängt jeht die Gesellschaft an, sich in Ranelagh einzufinden. Das Coup d'oeil ist immer zauberisch. Die Vertheilung der Lichter gibt so etwas Festliches, Heiteres umber, daß die trübste Seele dadurch erhellt werden muß. Im Garten war mir so wohl zu Muthe; es war so dunkelblau der Himmel, so niedlich das Blinkern der Lampen, fo_balsamisch erquickend der Duft von unzähligen Eglantin - Rosenhecken, herbeigewehet von einem mildfäuselnden West; die Tone des Orchesters in der Rotonde verhallten dort so gedämpft; → es war der erste ungetrübte Genuß seitdem ich in England bin.

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Mendoza, der nur durch Verabredung den Kampf mit Humphries als Sieger bestehen konnte, da ihn sonst Humphries in fünf Minuten zu Grunde richten würde begegnete neulich einem Bauerkerle und schlug ihn. Der Bauer nahm es übel und widerstand. Er schlug ihn nochmals nieder, weil er agiler als der Bauer war. Hierauf entschloß sich der Bauer zu einem ordentlichen Kampfe, zog seine Kleider aus und drang auf feinen Gegner dergestalt ein, daß diesem seine Geschwindigkeit nichts half, sondern er eine gewaltige Tracht Schläge bekam.

Dr. Mayersbach, dieser Quacksalber ist wieder hier, wohnt in Red lion square und hat noch immer Zulauf wie ehedem. Er war Postschreiber in und wußte nichts von der Medicin; allein er associirte sich mit einem gewissen Apothekergesellen, Namens Koch, der die hallischen Medicamente zu bereiten gelernt hatte und ward in England durch Lord Baltimore's Empfehlung als Arzt bekannt. Durch die elendesten Künste erwarb er sich die Reputation, aus dem Urin alle Krankheiten wissen zu kön

Ein Londoner Arzt, Dr. Lettfom, schickte ihm etwas Urin von einer Kuh zu, worauf er sogleich die Patientin für eine schwangere Frau erklärte wie er es von dem Bedienten des Doktors erfahren hatte. Sein Zulauf war unglaublich. Nachdem er sich ein schönes Vermögen erworben hatte, ging er nach Deutschland zurück. Jest ist er wieder da und das liebe London läßt sich aufs neue von ihm betrügen.

II.

Reise nach Windsor. Slough.

1. Windsor.

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Eine schöne Lage, eine herrliche Aussicht, und immer nur die ewige Wiederholung des Schönen und Herrlichen, die es einem so begreiflich macht, daß der unvergeßliche Lessing sich die Langeweile so lebhaft mit der allgenugsamen Existenz in Verbindung denken konnte! Was ist es denn nun mehr, daß ich von dem Dach des Gefangenthurms in Windsor zwölf Grafschaften dieses Feenreichs überschaute? Der blaue Strich da ist Bedfordshire; jener ist Suffer; diese kleine Erhabenheit liegt in Kent; dort neben Harrow könnte man an einem hellen Tage die Spike der Paulskirche sehen! Ich sehe beinahe rings um den Horizont einen dunkelblauen Kreis, worin ich keine Gegenstånde mehr unterscheide; diesseits ist alles ein herrlicher Wald von schönem, dunkelgrünem Laube, mit lieblichen Gefilden von lichtem Grün durchwirkt. Zu meinen Füßen windet sich die Themse, ein wasserarmes, seichtes, schmales Flüßchen, über ihre halbtrockenen G. Forster's Schriften. III.

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Kieselbetten hin. Jenseits, umringt von säulenförmigen Ulmengruppen, liegt das gothische, klösterliche Eton, in dessen finstern Hallen die Blüthe der brittischen Jugend ihre erste Erziehung erhält. Welch eine Erziehung! Ist es möglich, daß dieses eiserne Joch von freigebornen Kindern getragen wird? Ich meine nicht das Joch des Unterrichts und der Disciplin; beide, so unzweckmäßig sie sind, so mechanisch sie den Menschen machen, laffen noch die Möglichkeit eines unbefleckten Charakters übrig. Nein, ich denke an die entsehliche Tyrannei, welche die älteren Buben hier über die späteren Ankömmlinge ausübten. Dadurch gerathen sie unwiederbringlich in einen Abgrund von Niederträchtigkeit, aus welchem sie nur, vermöge eines günstigen Schicksals sich zu tugendhaften Månnern entwickeln, oder sie müssen ungewöhnlich reiche Anlage hineinbringen, um beim Selbstdenken zu edeln, großen Vorstellungen zu kommen. Wohin ge: rathe ich? Windsors hohe Thürme liegen unter mir und streben umsonst zu gleicher Höhe mit diesem, auf welchem ich stehe, hinan. Die Privatwohnung des königlichen Paars (Queens Lodge) mit dem Nebengebäude, welches den zahlreichen Sprößlingen ihres gesegneten Ehebettes gewidmet ist (Royal Nurfery), einfach und rein auf seinen Rasenplågen, steht zwischen mir und dem dunkeln Park, der sich über den nahen Hügel hinwegzieht. Hier senkt sich das kleine, nette Städtchen Windfor am Rücken des Hügels gegen die Themse hinab, und alles, alles lacht, grünt und lebt um mich her.

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Etwa hundert Stufen tiefer kam ich auf die Terrasse des Schlosses. Eine auf dem Hügel erbauete Mauer läuft weit über den fernen Horizont hinaus; die ganze Gegend liegt unter mir und ihr, und neben dem schönen breiten Gange steigen nun die hohen Mauern des Schlosses wie ein Feenpallast in die Lüfte.

Die Zimmer.

Das Bett der Königin ist schön mit Blumen gestickt. Eben so schöne und noch schönere Blumenstickerei sieht man auf dem Thron im Drawing-room.

Die alten Zimmer enthalten allerlei Gemälde von wenig Werth. Die zwei neuen Zimmer sind sehr geschmacklos bunt. West's Gemälde bleiben weit unter meiner Erwartung. Nur zwei sind groß: die Schlachten von Crecy und Poitiers; beide stellen den Zeitpunkt nach geendigter Schlacht vor.

Sie haben

hölzerne Pferde, und überhaupt eine gewisse Steifigkeit, einen gänzlichen Mangel an Haltung. Die Stiftung des Ordens ist auch ein großes Gemälde. Es sind einige schöne Weiber in dem Gefolge der Königin; allein das Ganze sieht aus, als håtte der Künstler, um die Kostümen der Zeit anzubringen, eine Menge Manequins gemalt.

Die übrigen Stücke sind klein. Die Schlacht bei Nevilscroß finde ich schlecht erzählt. Das Pferd der Königin bäumt sich so, daß sie wahrscheinlich, anstatt fo kerzengerade zu fißen, herunter gefallen wåre. Und ein Pferd ist es daß Gott erbarme! Hinter der Königin sieht man den Bischof zu Pferde im Harnisch. Es gibt keine heterogenere Figur, in der moralischen sowohl als in der physischen Welt.

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Die St. Georgs-Kapelle ist sehr schön. Prächtige Fascikel von gothischen Pfeilern schießen auf in einer langen, unabsehlichen Reihe und breiten oben ihre Arme umher, dem schönen Gewölbe zur Stüße. Alles ist neu aufgepust; die ganze Kapelle neu gepflastert; auch die Orgel neu. West hat sich am Altar übertroffen. Es ist unstreitig das Schönste, was er je malte. Sein Christus hat Leben, Geist und Ausdruck; großer Adel, hoher Schwung, kühner Enthusiasmus und erhabene Ruhe lie gen in diesem Kopfe. Johannes ist ein vollkommen glücklicher Schwärmer, in der Demuth und Hingebung; Judas ein Meisterwerk von Größe und Kraft, bei seiner Bosheit: schön gedacht; edel mußte er sein, wenn gleich nicht rein. Die übrigen intereffiren weniger

Darüber, nach West's Zeichnung, das Fenster von Jarvis gemalt, die Auferstehung: ein weit größeres Werk, was die Dimensionen betrifft; nur nicht so einfach in Gedanken und Größe des Dichters als jenes doch immer mit vieler Besonnenheit gemalt. Man sieht, daß diese Gegenstände fähiger sind, diesen Künstler zu begeistern, als profane Geschichte. Seine Liebe für den König, sein vertrauter Umgang mit ihm, seine eigene Neigung vielleicht und was sonst alles konnte zusammen wirken, um ihn für diese Scenen zu begeistern und seinen Vorstellungen ungewöhnliche Energie zu verleihen! In der flåmmischen Schule sucht man umsonst nach dem Edeln dieses Altarblattes. Es schadet ihm indeß, wenn man in eben jenen Zimmern, die ich vorhin erwähnte, die hohe Einfalt von Raphael's Cartons bewundert hat. Ich mag diese Bilder nicht; sie sind in Absicht

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