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Also: der mensch denkt nicht in einzelnen wörtern, sondern in ganzen sätzen! Dies trifft sogar schon für das früheste kindesalter zu: die ersten sprechversuche des kindes äussern sich zwar in abgebrochenen lauten, in kurzen wörtern oder meist sogar nur in bruchstücken solcher, und dennoch sind diese laute dazu bestimmt, einen gedanken, einen gefühlszustand, einen wunsch, oder was es sei, zum ausdruck zu bringen. Da dies aber nur in form eines satzes geschehen kann, so sind bei jenen äusserungen des kindes die fehlenden satzteile in gedanken zu ergänzen. Den kindlichen sprachlauten liegt stets eine abgeschlossene geistige vorstellung zu grunde; die ausdrucksweise ist anfangs naturgemäss unvollkommen, wird sich aber im laufe der zeit mehr und mehr vervollständigen. Also noch einmal: nicht wortweise, sondern satzweise eignet sich das zwei- bis dreijährige kind seine muttersprache an!

Wie aber gäbe es einen satz ohne das prädikat, das verb? Das verb hat die aufgabe, die thätigkeit des subjekts und sein verhältnis zum objekt anzugeben, es ist der träger, der drehpunkt, die grundlage, die seele jedes satzes. Um der noch vielfach verbreiteten irrigen ansicht entgegenzutreten, dass nicht das zeitwort, sondern das substantiv die grundlage des satzes sei, bedarf es nur eines vergleichs zwischen der nachstehenden kette von substantiven und derjenigen der entsprechenden zeitwörter. Das thema möge sein: „Der jäger schiesst ein rebhuhn". Die in frage kommenden substantiva sind:

hund, kette, rebhühner, befehl, jäger; rebhühner, hund; jäger, kette, hühner, gewehr, schulter, huhn, erde.

Diese kette von substantiven gibt keineswegs ein bild von dem, was der jäger thut. Anders die folgenden verben: sucht, sucht und sucht, thut auf, steht, geht vor; sehen, fürchten sich, fliegen auf, fliegen von dannen; sieht, ergreift, legt an, zielt, drückt ab, geht los, trifft, fällt.

Keine frage, dass die verbenreihe ein viel klareres vorstellungsbild vermittelt, als die reihe der zugehörigen substantive. Vom verb (prädikat) aus ist der geistige übergang zu den substantiven, den begleitenden adjektiven und sonstigen redeteilen. ein durchaus naturgemässer, vom substantiv aus hingegen keineswegs. Das zeigt deutlich die obige substantivreihe. Wenn wir die verben hören, sehen wir im geiste nicht nur die betreffende

thätigkeit, sondern auch den hund, seine farbe, seine gebückte haltung, sein schwanzwedeln beim stehen, das bebaute ackerfeld, die flüchtigen rebhühner, ihre erdfarbe, ihren vorgestreckten hals, den schmucken jäger u. s. w., wir hören den flügelschlag der tiere, den knall der büchse u. s. w., kurz, unsere vorstellung schafft einen bunten hintergrund zu dem im zeitwort verkörperten gemälde. Über die hervorragende rolle, welche das zeitwort im gedankenaustausch spielt, kann somit kein zweifel bestehen. In welcher form ist demnach der wortschatz dem lernenden darzubieten? Die antwort liegt in vorstehenden erörterungen: in form ganzer sätze unter besonderer hervorhebung des zeitworts. Nach den im ersten abschnitt niedergelegten grundsätzen hat die zuführung der sätze in logisch-chronologischer aufeinanderfolge zu geschehen. Um an einem beispiel zu zeigen, wie dies gemeint ist, soll das thema der jäger schiesst ein rebhuhn", dessen substantive und zeitwörter soeben aufgeführt worden sind, ausführlich dargestellt werden. Das prädikat „schiesst“ ist der satzteil, welcher das endziel der thätigkeit bezeichnet. Um dieses endziel zu erreichen, sind eine reihe von neben- oder hülfsthätigkeiten vorbedingung, wie folgende sätzchen veranschaulichen:

Der hund sucht.

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Er sucht und sucht.

Er wittert eine kette rebhühner.

Er thut eine kette rebhühner auf.

Er steht.

Er geht auf befehl des jägers vor.

Die rebhühner bemerken (sehen) den hund.

Sie fürchten sich vor dem hunde.

Sie fliegen auf.

Sie fliegen von dannen.

Der jäger sieht die kette hühner davonfliegen.

Er ergreift sein gewehr.

Er legt an (führt das gewehr zur schulter).

Er zielt und zielt.

Er drückt ab.

Der schuss geht los.

Die ladung trifft ein huhn.

Das huhn fällt zur erde.

Wie man sieht, sind diese sätzchen eine analyse des satzes „der jäger schiesst ein rebhuhn"; sie bezeichnen die hülfs- oder nebenthätigkeiten, die zur erreichung des endziels, des „schiessens" im allgemeinsten sinne, unerlässlich sind.

Wird auch nur eine der genannten mittelsthätigkeiten nicht ausgeführt, so wird das endziel nicht erreicht. Auch zeigen die sätzchen klar, dass die durch die kursiv gedruckten zeitwörter bezeichneten thätigkeiten logisch und zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgen.

Eine betrachtung der einzelnen sätze lehrt, dass jeder eine kleine erzählung, ein in sich abgerundetes kleines gemälde bildet. Auch hält sich die länge jedes satzes in den durch die natur gesteckten grenzen: sie entspricht der länge eines normalen atemstromes - ein insofern nicht unwesentliches moment, als die klarheit damit stets gewährleistet ist. Über gebühr lange sätze sind vom rhetorischen standpunkte aus schwerfällig und · unschön, dabei aber undurchsichtig und vielfach unverständlich. Fürs ohr ist langatmige satzverschachtelung schwer zu erfassen: eine ununterbrochene kette von tönen kann nimmermehr ein melodisches ganzes bilden; die pausen gehören unbedingt dazu. Wollte man den allerdings nicht durchführbaren versuch machen und das spannendste buch, das es gibt, in einem atem, ohne ruhepausen, lesen, so würde das ohr müde, verwirrt, betäubt, und das verstehen des gelesenen vollständig ausgeschlossen sein. Dasselbe gilt vom auge und den anderen sinnesorganen: die leistungsfähigkeit eines jeden organes hat ihre grenze.

Für den unterricht ergeben sich aus diesen beobachtungen zwei sehr wichtige lehren: erstlich muss der satz stets einfach und möglichst kurz sein; das zeitwort darf eine, auch wohl zwei, selten aber drei ergänzungen bei sich haben. Daher wird sich jeder satz in der regel auf eine einzige zeile schreiben lassen. Diesen forderungen der natur wird Gouin in seinen übungssätzen gerecht. Zweitens darf die länge eines übungsstücks („Der jäger schiesst ein rebhuhn" ist ein solches) eine gewisse anzahl sätze nicht überschreiten. Gouin berichtet, dass nach seinen praktischen unterrrichtserfahrungen und nach den beobachtungen, welche er an Vergils und Homers schönsten schilderungen gemacht, ein übungsstück nicht weniger als 18. allerhöchstens aber 30 sätze umfassen dürfe. Er hat gefunden, dass die schüler bis

zum 24. satze gespannt aufmerkten, vom 25. ab aber unwillkürliche nervöse unruhe bekundeten. Bei weniger als 18 sätzen sei der schüler etwas teilnahmslos, da der umfang des stücks im verhältnis zur leistungsfähigkeit des schülers zu gering sei eine allerdings recht merkwürdige erklärung das! Die frage, wie, d. h. in welcher anordnung, der wortschatz dem schüler zuzuführen sei, dürfte hiermit zur genüge besprochen sein.

Eine nicht minder wichtige frage ist die, was für wortund phrasenmaterial man dem lernenden bieten soll, in welchem umfange und aus welchen gebieten vorzugsweise. Die fremdsprachliche unfertigkeit unserer „abgänglinge" gibt zu denken: nach jahrelangem unterricht fehlt es ihnen an den allereinfachsten, alltäglichsten sprachlichen dingen. So vermisse ich in einem sonst recht tüchtigen und weit verbreiteten französischen lehrbuch, das auf 3 jahre berechnet ist, u. a. wörter wie oncle, tante, cousin(e), montre, chemin de fer, lettre, plume, encre, cahier, couteau, canif, chaise, table und tausend andere französische benennungen von dingen, die der schüler fast täglich vor augen sieht. Ich bin zwar gewärtig, dass einige auserlesene mir entgegenhalten, es sei nicht die aufgabe der schule, alles zu lehren, die hauptsache sei die „formale bildung", oder wie man das ding sonst zu nennen belieben mag.1 Fragt man aber einmal, was mit diesem bequemen, weidlich abgedroschenen schlagworte gemeint sei, so erhält man selten eine sachliche antwort: in der regel bewegt sich der so gefragte in pädagogischen gemeinplätzen, und wenn diese nicht recht ziehen wollen, so spielt er als letzten trumpf zu gunsten des bisherigen lehrverfahrens die neuen prüfungsbestimmungen auf, nach denen man sich zu richten habe, wenn die schüler bestehen sollen. Ja, diese rücksichtnahme auf die amtlichen bestimmungen ist ein notwendiges übel, und solange dieselben in der heutigen gestalt bestehen bleiben, ist es trotz redlichsten strebens der besten lehrkräfte ohne gefährdung des prüfungserfolgs n. m. m. nicht denkbar, den zöglingen eine ausreichende vorbildung für die fremdsprachlichen bedürfnisse der praxis mitzugeben. Zwar bestimmen die neuen lehrpläne, es sei auf die sprachlichen formen, wie sie im

1 Wie das seriensystem dieser forderung gerecht wird, ist im ersten abschnitt dargelegt.

täglichen verkehr üblich sind. im schulunterricht rücksicht zu nehmen, die prüfungsvorschriften aber verzichten auf erforschung des wissens auf diesem gebiete und erklären den prüfling für reif, wenn er ziemlich fehlerfrei in die und aus der fremdsprache übersetzen, leidlich lesen und die gestellten grammatischen fragen beantworten kann. Dem lehrer sind daher die flügel gebunden; wenn er es mit seinen zöglingen gut meint und sie anstandslos durchs examen bringen möchte, so muss er bis zu seinem und der schüler überdruss grammatik treiben, vokabeln lernen, übersetzungsübungen machen lassen und recht fleissig fehler anstreichen. Mit den sprachformen des gesellschaftlichen verkehrs kann und wird er sich nur ausnahmsweise befassen: es fehlt. die zeit dazu, und im examen wird ja doch nichts davon verlangt (vgl. § 11, 7 der prüfungsordnung)!

Die durch die lehrpläne und die prüfungsvorschrift veranlasste unbestimmtheit hinsichtlich des zu verarbeitenden wortschatzes gibt sich in den lehrbüchern auf jeder seite zu erkennen: der eine verfasser legt das hauptgewicht auf diesen sprachkreis, der andere auf jenen, ein dritter auf grammatisch zugestutzte texte u. s. f. Ein festes system, in welchem alles wesentliche vorgesehen wäre, ist nirgends zu entdecken, nur wählerisches nippen und das bestreben, möglichst vielen etwas zusagendes zu bringen. Dass bei diesem streben die gründlichkeit leiden muss, ist sonnenklar. Kein wunder, dass manche schüler ausser stande sind, die gewöhnlichsten redewendungen, wie etwa solche über das körperbefinden, übers wetter, über begrüssung, in der fremdsprache auszudrücken; die prüfungsordnung verzichtet eben darauf, und es ist daher ein reiner zufall, wenn die wendungen im lehrbuch berücksichtigt sind.

Lässt sich aber hinsichtlich der gerügten unebenheiten überhaupt wandel schaffen und eine systematische behandlungsweise des wortschatzes erzielen? Die frage ist zu bejahen. Gouin hat den weg gesucht und gefunden, auf dem eine umfassendere kenntnis des wortschatzes der betr. fremdsprache vermittelt werden kann, und zwar unter beständiger wirksamster schulung der jedem vernunftbegabten schüler innewohnenden geistigen fähigkeiten.

Bei der sichtung des wortschatzes einer beliebigen sprache - derselbe beläuft sich auf einige 30 000 wörter ergibt sich,

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