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VERMISCHTES.

ZUM FRANZÖSISCHEN UNTERRICHT AM GYMNASIUM.

* I.

Prof. Müller in Heidelberg spricht gegen ende des zweiten teiles seiner broschüre Der französische unterricht am deutschen gymnasium den wunsch aus, die fachgenossen möchten durch mitteilung ihrer ansichten über den betrieb des französischen am gymnasium zur klärung dieser wichtigen frage beitragen. K. Kühn - Wiesbaden hat bereits gelegenheit genommen (heft 9/10 dieser zeitschrift) sich über einige forderungen Müllers zu äussern. Ich erachte es wie Müller für sehr zweckmässig, wenn möglichst viele kollegen stellung zu dieser frage nehmen, und bringe daher meine ansicht über einige bestimmungen der preussischen lehrpläne und forderungen, die von fachgenossen aufgestellt werden, zur allgemeinen kenntnis. Was die methode anlangt, so stehe ich auf demselben standpunkte wie prof. Müller. Ich wählte bei der übernahme des französischen unterrichts am hiesigen gymnasium die analytisch-synthetische methode, da ich durch das studium der schriften über die reform des neusprachlichen unterrichts zu der überzeugung gekommen war, dass mittels dieser methode das dem neusprachlichen unterricht gesteckte ziel am sichersten erreicht werde. Nach den gemachten erfahrungen habe ich mich in meiner annahme nicht getäuscht. Über die vorzüge dieser methode ist genug geschrieben worden, sodass es nicht nötig ist, hier noch mehr darüber zu sagen. Sollte sie noch gegner unter den fachgenossen haben, was kaum anzunehmen ist, so kann man diesen nur raten, einmal ernstlich den versuch damit zu machen, und sie werden von ihrem vorurteil geheilt werden. Bei einigem guten willen kann der erfolg gar nicht ausbleiben. Die befürchtung, dass die grammatischen kenntnisse keine sicheren würden, ist oft genug widerlegt worden; sie werden nach dem induktiven verfahren infolge der regen thätigkeit, wozu der schüler während des unterrichts immer angehalten wird, und infolge des lebhafteren interesses, das er dadurch für die sache zeigt, sogar schneller und leichter zum bleibendem eigentum. Ist man sich über die methode im klaren, so kann es sich nur noch um einzelheiten handeln, über die man sich einigen muss. Ohne zweifel gehen in vielen punkten die ansichten noch auseinander. Ich will zunächst bei den schriftlichen arbeiten stehen bleiben. Mit der zeit werden hierin sicher änderungen vorgenommen werden müssen, wenn das von den preussischen lehrplänen gesteckte allgemeine ziel im schriftlichen gebrauch der französischen sprache erreicht werden soll. Ich habe mich wiederholt gefragt, ob das allgemeine ziel nach den bestimmungen der lehrpläne zu erreichen ist. Die antwort auf diese frage lautet aber immer: nur zum teil. Und ich glaube kaum, dass ein fachgenosse am gymnasium behaupten kann, das von den lehrplänen gesteckte ziel werde ganz erreicht. Dass es nicht erreicht wird, dafür haben die bestimmungen jener lehrpläne merkwürdigerweise selbst gesorgt. Das allgemeine ziel fürs französische am gymnasium ist bekanntlich: 1) verständnis

nicht zu schwieriger bedeutender schriftwerke der letzten drei jahrhunderte, wie z. b. der klassiker, Thiers', Ségurs, Duruys, Sarceys; 2) einige geübtheit im mündlichen und schriftlichen gebrauch der sprache. Nun, das verständnis nicht schwieriger, bedeutender schriftwerke wird sicher erreicht, wenn nach der induktiven methode unterrichtet wird, die lektüre also in den mittelpunkt tritt und die grammatik nur herangezogen wird, soweit sie zum verständnis der schriftsteller notwendig ist; ich behaupte sogar, dass trotz der geringen stundenzahl, bei richtigem betrieb des unterrichts von quarta an, das verständnis der schwierigeren Schriftsteller wie Lanfrey, Taine, Coppée u. a. erreicht.wird. Anders verhält es sich mit der zweiten forderung, einiger geübtheit im praktischen mündlichen und schriftlichen gebrauch der sprache. Von geübtheit im schriftlichen gebrauch der französischen sprache kann am gymnasium, wenn sich der lehrer genau nach den bestimmungen der lehrpläne richtet, kaum die rede sein. Wie soll der schüler hinsichtlich des schriftlichen gebrauchs der sprache in der übung bleiben, wenn von obersekunda ab solche übungen ausgeschlossen sind? Wenn der schüler drei jahre lang keine schriftlichen französischen übungen anstellt, so hat er doch sicher beim abgang von der schule in oberprima nicht mehr die übung, die er sich bis zur abschlussprüfung erworben hatte. Gefordert wird von obersekunda ab alle 14 tage eine schriftliche übersetzung aus dem französischen; daneben wird mündliche übersetzung ins französische verlangt. Durch die übersetzung ins französische wird aber doch wohl nur eine sehr geringe geübtheit im schriftlichen gebrauch der sprache erzielt. Soll das von den lehrplänen gesteckte ziel wirklich erreicht werden, so ist die erste bedingung, dass schriftliche französische übungen vorgenommen, also von obersekunda bis oberprima fortgesetzt werden. Nun hat ja allerdings der preussische unterrichtsminister die annahme, dass auf den obersten klassen von übersetzungen ins französische ganz abzusehen sei, als einen irrtum bezeichnet und erklärt, gelegentliche veranstaltung solcher übersetzungen sei den lehrern des französischen, denen die zeit dazu bliebe, nicht durchaus zu untersagen, nur sollten sie nicht als häusliche aufgaben gegeben werden. Wenn also die zeit dazu bleibt, können auf den oberen gymnasialklassen auch schriftliche französische übersetzungen während der stunde angefertigt werden. Da fragt es sich nun, kann an stelle einer übersetzung aus dem französischen eine solche aus dem deutschen ins französische treten, oder ist alle 14 tage den bestimmungen der lehrpläne entsprechend die übersetzung ins deutsche zu machen, und ist es dem belieben des lehrers überlassen, gelegentlich ausserdem noch eine übersetzung ins deutsche zu veranstalten? Damit würde aber das allgemeine ziel im schriftlichen gebrauch der französischen sprache immer noch nicht erreicht werden. Wenn ein lehrer die maximalstundenzahl zu geben und in starkbesetzten klassen zu unterrichten hat, so bleibt ihm unmöglich die zeit zu weiteren derartigen arbeiten; auch kann er bei zwei wöchentlichen stunden in den oberen klassen nicht noch mehr zeit für schriftliche arbeiten abgeben, Dabei würde er nicht wissen, woher er vor massenhaften

korrekturen die zeit zu den wichtigeren studien hernehmen sollte. Dem übel, dass der lehrer von einer ungeheuren korrekturlast erdrückt wird, hätte von vornherein gesteuert werden sollen. Wie schon öfter gerügt worden ist, stehen die schriftlichen arbeiten im französischen in keinem verhältnis zu der wöchentlichen stundenzahl dieses faches. Wenn im griechischen, bei sechs wöchentlichen stunden, alle 14 tage eine schriftliche arbeit geliefert wird, so ist nicht ersichtlich, warum es im französischen bei zwei wochenstunden gerade so sein soll. Zu schriftlichen übersetzungen ins französische würde zeit übrig sein, wenn nicht alle 14 tage eine deutsche übersetzung verlangt würde. Dies ist aber auch gar nicht nötig, wenn darauf gesehen wird, dass bei der lektüre der schüler das französische in gutes deutsch übersetzt. Im abiturientenexamen wird er dann sicher auch eine genügende oder gute deutsche übersetzung liefern können. Mein vorschlag geht, wie wir später sehen werden, dahin, dass in den oberen klassen in jedem vierteljahre nur eine deutsche arbeit zu schreiben ist. In diesem falle würde der nachteil fürs französische nicht so bedeutend sein, wie es gegenwärtig thatsächlich der fall ist. Die preussische regirung hat sicherlich nicht die absicht gehabt, das französische in erster linie dem deutschen dienstbar zu machen. Vor allen dingen sollte doch durch wegfall der französischen übersetzungen eine entlastung der schüler eintreten. Wenn die gymnasiasten die für sie geschaffene erleichterung jetzt vielleicht auch sehr angenehm empfinden, später dürfte es ihnen schwerlich einleuchten, weshalb von schriftlichen französischen übungen in den oberen klassen ganz und gar abgesehen wurde. Da einige geübtheit im schriftlichen gebrauch des französischen als allgemeines ziel hingestellt ist, so ist die forderung Müllers, wie auch Mangolds, die übersetzung ins deutsche bei der abiturientenprüfung durch eine andere arbeit zu ersetzen, ganz gerechtfertigt. Diese leistung soll aber nicht in einer übersetzung ins französische, sondern in einer freien französischen arbeit bestehen. Und an einer solchen kann man ja am besten sehen, wie es mit der gewandtheit des schülers, seine gedanken französisch wiederzugeben, bestellt ist. Wenn der abiturient aber in einer freien arbeit wirklich etwas erspriessliches leisten soll, so muss mit derartigen arbeiten schon in quarta der anfang gemacht werden. Geschieht dies, und werden diese übungen in allen klassen regelmässig fortgesetzt, so wird die arbeit im abiturientenexamen durchaus keine schwierige leistung sein. Mit dem aufsatze, den der realgymnasiast in der abiturientenprüfung zu liefern hat, soll die arbeit des gymnasiasten natürlich nicht auf gleiche stufe gestellt werden. Der gymnasiast muss über den stoff, den er behandeln soll, genau orientirt sein. Die schüler werden sich sehr schnell an diese freien arbeiten gewöhnen, und sie empfinden, wie ich zu sehen gelegenheit gehabt habe, grössere freude, wenn sie ihre kenntnisse auf diese weise bethätigen können. Müller sagt in seiner schrift s. 11. III, 15: Die schriftliche handhabung der sprache muss durch schriftliche arbeiten aller art als höchstes ziel nicht bloss grammatische korrektheit, sondern auch stilistische gewandheit im freien ausdruck der gedanken erstreben. Dieser

forderung, die ich ganz unterschreibe, möchte ich nur eine bestimmtere form verleihen. Angesichts der thatsache, dass die lehrpläne als prüfungsarbeit bis zur abschlussprüfung in untersekunda eine übersetzung ins französische, von obersekunda bis zur abiturientenprüfung dagegen eine übersetzung ins deutsche verlangen, ist bis zur abschlussprüfung das extemporale (übersetzung ins französische), bis zur abituriententenprüfung die übersetzung ins deutsche beizubehalten. Dass in bälde die bisherigen bestimmungen der lehrpläne geändert und statt der extemporalien und deutschen übersetzungen freie arbeiten in den schlussprüfungen angesetzt werden, ist wohl kaum anzunehmen. Den forderungen der lehrpläne entsprechend hat man jene arbeiten zunächst noch anfertigen zu lassen; nur sollen sie nicht mehr wie bisher im vordergrunde stehen, sondern zurückgedrängt werden von diktaten und freien arbeiten, die mit jenen übersetzungen regelmässig wechseln. In quarta wird sich das allerdings wohl noch nicht ganz regelmässig durchführen lassen, der anfang muss aber damit gemacht werden, und es sollte in dieser klasse im vierteljahre mindestens eine freie arbeit geschrieben werden. Von untertertia ab hätten solche arbeiten regelmässig mit einander zu wechseln. Von quarta bis untersekunda würde alle 14 tage bis 3 wochen, von obersekunda ab alle 3-4 wochen, nicht alle 14 tage, eine arbeit in der klasse anzufertigen sein. Dadurch würde auch wieder etwas mehr zeit für lesen und sprechen gewonnen. Aber auch die mündlichen übersetzungen aus dem deutschen ins französische, die von den lehrplänen bis in die oberen klassen hinauf gefordert werden, sind bedeutend einzuschränken und nur soweit zu veranstalten, als sie dazu dienen, dem schüler zu einem schnelleren verständnis gewisser eigentümlichkeiten der französischen sprache zu verhelfen. In den beiden ersten jahren, in quarta und untertertia, sind solche übungen dann und wann jedenfalls ganz zweckmässig. Bei den übersetzungen aus dem deutschen darf aber das deutsche nicht laut gelesen werden. Von obertertia ab sind diese übungen überflüssig und eher vom übel. Höchstens sind gelegentlich deutsche sätze im anschluss an den im lesebuche durchgenommenen stoff zu übersetzen, in denen die grammatischen regeln zur anwendung kommen. Gewöhnlich wird man aber schon aus den französischen antworten ersehen können, ob der schüler mit den betreffenden gesetzen vertraut ist. Auf keinen fall darf das hinübersetzen einen so breiten raum einnehmen wie das herübersetzen. Die übungsbücher bringen meistens ebenso viele deutsche stücke wie französische; wollte man die deutschen sätze womöglich alle ins französische übersetzen, so würde es sehr lange dauern, ehe der schüler einige gewandtheit im mündlichen gebrauch der sprache erlangte. Ich habe es früher so gemacht, bin aber davon abgekommen. Sobald ein französisches stück genau durchgenommen ist und dem schüler alle wörter bekannt sind, muss zu den sprechübungen geschritten werden. Die schüler sind dabei anzuhalten, sich selbst gegenseitig abzufragen. Diese aufgabe macht ihnen anfangs natürlich ziemliche schwierigkeiten; das verliert sich aber bald, und der gewinn dabei ist kein geringer.

Im unterrichte ist die deutsche sprache, wo es möglich ist, beiseite zu lassen, wie z. b. bei den konjugirübungen, die in der weise vorzunehmen sind, wie es Rossmann, Strien, Quiehl u. a. empfehlen. Ich habe immer vorher die deutsche bedeutung feststellen und dann ohne deutsch üben lassen. Das deutsche ist m. e. von anfang an durch alle klassen hindurch möglichst aus dem französischen unterrichte zu verbannen. Damit mehr zeit für die lektüre und sprechübungen gewonnen werde, sollen nach Kühns vorschlage nur die schwierigeren schriftsteller nachübersetzt werden. Mangold geht noch einen schritt weiter. Er wünscht, dass nach oben sogar das mündliche herübersetzen mehr und mehr aufhöre. Kühns vorschlage wird man ohne weiteres beistimmen können. Leichtere schriftsteller brauchen nicht nachübersetzt zu werden, stattdessen lasse ich in der folgenden stunde das dagewesene gewöhnlich nochmals lesen und knüpfe daran sofort die sprechübungen. Diese übungen brauchen sich aber nicht nur auf den inhalt des gelesenen und vorkommnisse des täglichen lebens zu beziehen; es können ebenso gut erklärungen über grammatische erscheinungen, synonymik, metrik u. s. w. in französischer sprache gegeben werden, wenn die schüler von unten auf dazu angehalten werden. Mit der französischen terminologie müssen sie dann natürlich einigermassen vertraut sein. Auch aufs vorübersetzen würde man, wie Mangold vorschlägt, verzichten können, wenn die lehrpläne nicht vorschrieben, dass auf eine gute übersetzung besonderes gewicht zu legen sei. Bei leichteren schriftstellern kann man ohne bedenken davon absehen. Bei der kursorischen lektüre habe ich dieses verfahren vielfach mit bestem erfolge angewendet. Wenn in der lektüre so verfahren wird, und wenn die bestimmungen über die schriftlichen arbeiten in der gewünschten weise abgeändert werden, dann kann man erst von einer französischen stunde sprechen. Wird dagegen, wie es ja wohl meistens noch der fall sein dürfte, in jeder stunde vor- und nachübersetzt, werden alle möglichen erläuterungen in deutscher sprache gegeben, so hat man vielmehr eine deutsche stunde. Wie viel zeit bleibt dann bei solchem verfahren in den oberen klassen für sprechübungen übrig? Doch kaum mehr als 10 minuten. Nehmen wir an, es sind 20 schüler in der klasse, und jeder kommt in der stunde einmal an die reihe, so kommt auf den einzelnen bei den sprechübungen je eine minute wöchentlich; das macht im ganzen jahre etwa 40 minuten. Ob der abiturient dann im stande ist, sich über französische verhältnisse, geschichte, litteratur und vorkommnisse des täglichen lebens einigermassen gewandt in französischer sprache auszudrücken, dürfte wohl mehr als zweifelhaft sein. Wenn dagegen das deutsche im unterrichte möglichst zurücktritt, wird sich das verhältnis ganz anders gestalten. Es ist den reformern, die energisch für eine gute aussprache und sprachfertigkeit eintreten, mehrfach der vorwurf gemacht worden, diese fertigkeit liege ihnen am meisten am herzen, alles andere sei nebensache. Der vorwurf ist jedenfalls ganz ungerechtfertigt. Denn wenn man genauer zusieht, wird man finden, dass ihr eifrigstes bestreben dahin geht, die schüler mit dem besten, was die französische litteratur bietet, vertraut zu machen. Die geistige bildung der schüler steht ihnen doch noch höher.

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