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oder durch symbolische verbindung mit sprachformen der letzteren geschehen kann.

Aus der betrachtung des bildlichen ausdrucks „ein eingewurzeltes übel ausrotten" ergibt sich z. b. folgendes: Erstens enthält der ausdruck einen abstraktbegriff, ausgedrückt durch das wort „übel"; zweitens ist in dem ausdruck ein durch das adjektiv eingewurzelt" und durch das wort ausrotten“ zur genüge angedeutetes, wenn auch nicht genanntes, sinnbild des übels, das „unkraut", zu erkennen; drittens findet ein geheimer geistiger vergleich zwischen dem abstrakt begriff „übel" und dem konkreten symbol „unkraut“ statt; endlich wird der abstraktbegriff mit dem konkreten sinnbild stillschweigend identifizirt.

Wie nun soll man den schüler mit diesem wichtigen teile. des sprachbestandes bekannt machen? Soll man die zuführung der bildlichen redeformen dem zufälligen vorkommen überlassen, oder lassen sie sich unter gemeinschaftlichen gesichtspunkten vereinigen und nach methodischem plane dem schüler zuführen? Diese schwierige frage hat Gouin glänzend gelöst. Er kommt zunächst zu dem satze, dass die bildersprache erst dann gegenstand der unterweisung sein dürfe, wenn die objektive sprache erlernt sei; auf die letztere sei die bildliche ausdrucksform aufzupfropfen.

Soll also der schüler den angezogenen bildlichen ausdruck ein eingewurzeltes übel ausrotten" verstehen, so muss er vorerst die bedeutung von „ausrotten" kennen, er muss sich somit die objektive serie von der pflanze und ihren schicksalen schon zu eigen gemacht haben. In gleicher weise wird der sinn der übrigen bildlichen redeformen erst klar, wenn die denselben zu grunde liegende symbolische thätigkeit aus dem studium der betreffenden objektiven serien bereits bekannt ist.

Auf grund dieser erkenntnis ist ferner für eine planmässige verabfolgung der bildlichen sprachformen sorge zu tragen. Hierzu bedarf es vor allem einer sachgemässen gruppirung, die in folgender weise zu erreichen ist: Das gesamte material der bildlichen sprache wird mit hilfe eines beliebigen wörterbuchs gesammelt. Das sich so ergebende verzeichnis der abstraktbegriffe wird inhaltlich in gruppen geteilt; unter der überschrift „tugend" werden z. b. alle guten eigenschaften, unter dem kopfe „laster"

alle schlechten zusammengestellt u. s. w. Da die zahl der allgemeinen abstraktbegriffe verhältnismässig klein ist, so werden sich sicherlich nicht mehr als fünfzig gruppen ergeben. Zu diesen fünfzig allgemeinen gruppen sind die einschlägigen symbolischen ausdrücke aufzusuchen, deren es für jede gruppe mehrere geben wird; ein ausführliches wörterbuch wird sämtliche gebräuchlichen sinnbildlichen wendungen, die mit dem abstraktbegriffe gebildet sind, aufführen. Der begriff „laster" liefert u. a. folgende bildlichen ausdrücke: „in ein laster verfallen, im laster versinken, im laster versumpfen, im laster untergehen, sich ins laster stürzen, sich dem laster ergeben, sich im laster wälzen, dem laster fröhnen, das laster fliehen, ein laster ablegen, ein laster ausrotten, dem laster entsagen" u. a. m. Greifen wir aus dieser gruppe zwei beliebige redensarten, etwa „sich ins laster stürzen und ein laster ausrotten" heraus. Die verben sich stürzen“ und „ausrotten" deuten an, dass die volkstümliche vorstellung das laster bald in form eines abgrundes oder sumpfes, bald in gestalt eines schädlichen oder giftigen gewächses versinnbildlicht. Dem ersteren sinnbilde sind zweifelsohne die folgenden ausdrücke entlehnt: „in ein laster verfallen, sich ins laster stürzen, sich im laster wälzen, im laster versinken (resp. versumpfen), im laster untergehen" u. ähnl. Das sinnbild des schädlichen gewächses liefert folgende metaphern: „ein laster ausrotten, ein laster verpflanzen, das laster keimt, das laster fasst wurzel, das laster wuchert weiter, das laster treibt blüten“ u. S. W. Die demselben konkreten sinnbild entlehnten metaphorischen redensarten sind zu ordnen, und es entsteht daraus ein metaphorisches übungsstück. Im vorliegenden falle haben. wir zwei solcher übungsstücke, eines im anschluss an den abgrund oder sumpf, das zweite im anschluss an die schädliche pflanze; es gibt ihrer indes ebensoviele, als konkrete symbole für das wort laster" vorhanden sind. Statt des wortes laster" kann weiterhin ein zu derselben gruppe gehöriges sinnverwandtes abstraktum, etwa „schlechtigkeit“, „verkommenheit“, „liederlichkeit“ u. ähnl. eingesetzt werden.

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Da nun das studium dieser metaphorischen übungsstücke an und für sich eine trockene nnd wenig fruchtbringende arbeit sein würde, so wäre ein mittel zu ersinnen, dieselben in der

weise, wie es im alltagsleben geschieht, mit der objektiven sprache zu verknüpfen. Dieses mittel hat Gouin ebenfalls gefunden und zwar an der hand nachstehender erwägungen.

Wenn wir in der serie vom vogel das übungsstück vornehmen, in welchem die alten ihre jungen aus ihrem schnabel füttern, so erweckt das in jedem von uns die abstrakten vorstellungen von „liebe“, „zärtlichkeit“, „treue“, „fürsorge“ u. dgl. Und in gleicher weise ruft jede andere konkrete thätigkeit abstrakte vorstellungen bestimmter art wach. Eine dieser abstraktvorstellungen ist die herrschende vorstellung und spielt als solche die hauptrolle. Diese herrschende vorstellung nun ist es, welche das bindeglied zwischen der objektiven und der metaphorischen ausdrucksweise bildet. Drum konstruiren wir unser metaphorisches übungsstück im anschluss an die leitende abstraktvorstellung des betr. objektiven stückes und fügen das erstere dem letzteren als anhang bei. Dass hierdurch das objektive übungsstück in seiner wirksamkeit geschädigt würde, ist ausgeschlossen; im gegenteil, dasselbe wird durch das angefügte metaphorische seitenstück illustrirt, vertieft, befestigt. Das letztere ist für das erstere, was das salz für die speise und was die hefe für den brotteig ist.

Näher auf die gruppirung der figürlichen redeformen einzugehen, ist hier nicht der ort; die im erscheinen begriffene seriensammlung Gouins und seiner nachahmer in England wird alles weitere zeigen.

Noch eins jedoch bedarf kurzer erwähnung, da es die umsicht. und gründlichkeit, womit Gouin bei der zuführung des wortschatzes vorgeht, glänzend beleuchtet. Wie konnte es Gouin, diesem scharfen denker und beobachter der menschlichen natur, entgehen, dass der mensch einer bestimmten gattung von sprachstoffen ganz besonders häufig bedarf? Es sind dies stoffe, die er in seiner muttersprache tagtäglich an sein ohr klingen hört und selbst. auch praktisch oder in gedanken anwendet. I'm den lernenden auch in dieser hinsicht auf einem der natürlichen spracherlernung möglichst parallel laufenden wege zu führen, um ihn nicht hinzuhalten, bis die fragl. stoffe in den serien der objektiven, subjektiven oder figürlichen sprachreihen vorkommen, widmet Gouin nach erledigung der ersten fünf objektiven übungsstücke die ersten fünf bis zehn minuten (das von ihm so genannte vorspiel“)

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jeder lehrstunde den fliegenden serien. Diese behandeln zweierlei, nämlich: 1. die begrüssung und 2. das wetter, zwei sprachgefilde, auf die jeder mensch in seiner muttersprache auf schritt und tritt geführt wird. Von den begrüssungsformeln verabfolgt Gouin den lernenden in jeder stunde eine neue, während die lernenden die neue grussformel mit einer der bereits erlernten formeln erwidern. Die wetterphrasen betreffen den jeweiligen zustand der atmosphäre. Überall, zu hause wie draussen, beschäftigt sich jeder mensch unwillkürlich, wenn auch oft nur in gedanken, mit den eindrücken, welche die naturerscheinungen, das wetter und die atmosphäre überhaupt, auf ihn ausüben. Wenn regen und hagel gegen die fensterscheiben prasseln, wenn der wind heult, die blitze zucken, der donner grollt, die sonnenstrahlen in sein zimmer fallen, wenn die sterne und der mond scheinen, wenn die kälte die flüsse zum stehen bringt, wenn der schnee die erde bedeckt, wenn die bäume grünen und blühen, wenn die insekten summen u. s. w., u. s. w. immer wird der normalmensch sich mit diesen jeweiligen erscheinungen in der natur beschäftigen, d. h. er wird fliegende serien" bilden. Die hier in betracht kommenden wendungen und ausdrücke lassen sich aber naturgemässer und sicherer nicht vermitteln, als auf die von Gouin ersonnene art, nämlich unter direkter bezugnahme auf die wirklichkeit. Das „vorspiel" der „fliegenden serien“ ist daher als ein treffliches, durchaus naturgemässes mittel zur spracherlernung von ganz hervorragendem werte.

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Hiermit wäre der gesamte wortbestand einer jeden sprache, der objektive, der subjektive und der figürliche, in logischer und naturgemässer weise in ein geregeltes system gebracht. Dass der gesamte sprachschatz in den sich konzentrisch erweiternden drei einjährigen kursen zur verwendung gelangen kann und gelangt vorausgesetzt natürlich, dass streng nach den Gouinschen grundsätzen gearbeitet wird! - ist schwer zu leugnen. Zum beweise dafür, dass der gesamte lebende wortbestand behandelt wird, sei noch angeführt, dass Gouin nach anfertigung jedes seiner übungsstücke die in demselben verwendeten vokabeln der reihe nach in seinem handwörterbuch durchgestrichen hat, und dass nach fertigstellung seiner sämtlichen. übungsstücke auch sämtliche vokabeln des wörterbuches durchgestrichen waren. Mehr kann man wohl nicht verlangen!

Nachdem die serienstücke verarbeitet sind, kann zum studium litterarischer meisterwerke kleineren und grösseren umfangs übergegangen werden.

Jede litterarische leistung besteht aus einer kette von vorstellungen, die der verfasser nach eigener logik aneinandergereiht hat. Jede dieser vorstellungen zerfällt ihrerseits in eine reihe von einzelnen satzganzen. Somit ist jede litterarische darstellung in mehrere teile zerlegbar; jeder dieser teile ist von bestimmter länge und bringt die entwickelung einer ganz bestimmten vorstellung zum ausdruck. Jede litterarische schöpfung kann daher nach art der oben behandelten sprachserien behandelt werden, und die verarbeitung eines buchs Vergil oder Homer, eines kapitels Herodot oder Tazitus wird dem schüler keine grössere mühe verursachen, wie es die serie vom landmann, von der pflanze oder vom insekt gethan hat.

Die anordnung der litterarischen serienstücke hat durchaus jener der objektiven sprache zu entsprechen. Ein buch Vergil wird z. b. durchschnittlich eine serie von 70 stücken zu je 22-30 sätzen ergeben; ein buch Homer zerfällt in 35-40 stücke, Horazens Verskunst zählt ihrer 36.

Gouin hat die meisten antiken klassiker in dieser weise transskribirt, in lithographirten umschriften festgelegt und so mit seinen schülern verarbeitet. Diese umschriften halten sich strenge an den ausdruck und die konstruktion des autors; die einzige abweichung der Gouinschen umschriften von den originalen besteht in der zeilenlänge, die Gouin nach pädagogischen gesichtspunkten eingerichtet hat, insofern jeder einfache satz eine zeile für sich bildet. So bietet Gouin die La Fontainesche fabel Le lion et le moucheron (II 9) (in der 2. französischen ausgabe 1 s. 428 f., in der englischen s. 392 f.) in folgender gestaltung, die vom original nur hinsichtlich der zeilenzahl und -länge

abweicht:

'Die irrtümliche numerirung und überschrift des 2. stücks (s. 429), sowie einige typographische unebenheiten in Gouins 2. auflage sind hier ausgemerzt.

Die Neueren Sprachen. Bd. III. Heft 1.

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