Page images
PDF
EPUB

mit abnehmbarer zunge und senkrecht zerlegbar, sämtlich aus der Ramméschen kunstanstalt in Hamburg, ein künstlicher gaumen aus hartgummi und ein vom universitäts-mechaniker Albrecht in Tübingen verfertigter GrütznerMareyscher apparat). Mit spannung und lebhaftem beifall wurden mitteilungen über die wissenschaftlichen ergebnisse seiner untersuchungen mittels der Mareyschen trommel in verbindung mit dem kymographion entgegengenommen, wie die versammlung es sich denn nicht nehmen liess, professor Vietor, dem gelehrten und dem bahnbrecher der reform, zum schlusse eine stürmische huldigung zu bereiten.

Professor Förster gab in fünf stunden zunächst eine einleitung über das wesen der phonetik und ihre bedeutung für die spracherlernung, insbesondere über die stellung, die ihr im klassenunterrichte zukommt. So sehr er einerseits die notwendigkeit hervorhob, mit der lautlichen schulung bereits in der vorschule zu beginnen, warnte er andrerseits davor, die phonetik im lehrplane zum selbstzwecke zu erheben. Sie ist in der schule nicht hausfrau, sondern dienende magd. Daher wolle man nicht zuviel beibringen, keine lautphysiologischen einleitungen geben, nicht mit vokalsystemen hantiren, vor allem nie vergessen, dass die phonetik allein es nicht thut, sondern dass die glückliche imitation, die freilich der phonetisch geschulte lehrer mit leichterer mühe erreichen wird, die hauptsache bleibt.

Man nehme es von vorherein nicht zu ängstlich, lasse die schüler beim einzellautiren ruhig übertreiben, das zusammenhängende sprechen beseitigt die übertreibung von selbst. Zum kapitel lautschrift bemerkte der vortragende, dass er bei seinen umfragen immer diejenigen lehrer als ihre anhänger kennen gelernt habe, die sie mit pädagogischem geschick betreiben, als ihre gegner immer nur solche, die sie noch nicht erprobt haben. Jedenfalls treibe man nicht lautschrift und historische orthographie zu gleicher zeit, sondern lasse diese auf jene folgen. Nach einem kurzen überblick über die geschichte der phonetik ging er sodann, teilweise an Passy: Sons du français anknüpfend, auf die französische elementarphonetik ein, entwickelte die laute, die gesetze der lautdauer, der silbentrennung, der assimilation, des satztones und der bindung immer im hinblicke auf die ergebnisse der historischen grammatischen forschung und die erfordernisse der schulpraxis, und lieferte auf grund seiner untersuchungen mittels der phonetischen apparate den nachweis, dass die phonetik die erlernung des französischen nicht erschwere, sondern vereinfache, insofern sie mit mancherlei wust der grammatiken (z. b. vokal- und konsonantenlängen) aufräumt.

Für übung im mündlichen gebrauch der französischen sprache war in ausgiebiger weise gesorgt. Täglich war gelegenheit geboten, mustergiltiges französisch zu hören. An erster stelle muss hier herr universitätslektor Gauthey des Gouttes (Kiel) genannt werden, der in litterar- und kulturgeschichtlichen vorträgen, besonders aber in vier deklamationssitzungen, seinen zuhörern weit über das sprachliche vorbild hinaus einen künstlerischen

40

genuss der erlesensten art bot. Ich teile das programm der letzten sitzung mit: La Chèvre de M. Seguin, A. Daudet; La Nuit de Mai, A. de Musset; Tartuffe I, 5. 6; La Bénédiction, F. Coppée; La Mule du Pape, A. Daudet; Un Monsieur en habit noir, comédie en un acte, A. Dreyfuss. Professor Caumont gab in zwei vorträgen eine gediegene charakteristik der poesie des 19. jahrhunderts nach ihren formen und ihrem dichterischen gehalte; die herren Tissot und Cointot behandelten in lehrreicher und interessanter weise, der eine L'enseignement secondaire en France, der andere La vie du pagsan au sud-ouest de la France.

Ausserdem waren die sämtlichen französischen damen und herren liebenswürdig genug, täglich vor dem eintritte in die übungszirkel französische texte vorzulesen; es wurden beispielsweise die vier akte von Mademoiselle de la Seiglière bei verteilten rollen zu gehör gebracht.

Die übungszirkel, jedesmal zu 7 bis 9 mitgliedern unter der leitung je eines franzosen, sind allgemein als eine höchst dankenswerte einrichtung empfunden worden. Sie waren darauf angelegt, dem einzelnen zum freien mündlichen gebrauch der französischen sprache anregung und anleitung zu geben, teils gesprächsweise, teils in kleineren vorträgen, die sich auf die angehörten vorlesungen, die theatervorstellungen, reisen und andere unmittelbare erlebnisse bezogen; ab und zu wurde ein bild zur beschreibung vorgelegt. Zugleich aber kam es zur lebhaften erörterung von fragen über aussprache, grammatisches und phraseologisches, die ein jeder entweder aus dem eigenen unterrichte mitbrachte, oder die sich ihm im laufe der frankfurter tage beim verkehr mit den ausländern aufgedrängt hatten. Unter den täglich vorgenommenen leseübungen waren diejenigen besonders fruchtbar, deren grundlage Passysche texte bildeten. Der lesende war der französische leiter des zirkels selbst. nicht den lautschriftlichen text vor, sondern ohne kenntnisnahme von demDoch las er oder trug auswendig selben eine umschrift in die gewöhnliche orthographie, die aus dem kreise der zuhörer angefertigt war. Letztere konnten sich nun, indem sie die bei Passy vorgezeichnete sprachweise mit der angehörten verglichen, leicht davon überzeugen, wie dieselbe an adel hinter derjenigen zurückbleibt, die dem gebildeten franzosen geläufig ist. Selbstverständlich sollte damit vor der beschäftigung mit den Passyschen lauttexten nicht gewarnt werden; die vertiefung in dieselben wurde vielmehr als eine treffliche vorbereitung auf den mündlichen verkehr mit ausländern und als ein schätzenswertes ersatzmittel dafür von Walter und professor Förster allen fachgenossen eingeschärft und für den Maître Phonétique kräftig geworben.

Die übung im mündlichen gebrauche des französischen blieb nicht auf die übungszirkel beschränkt; sie wurde tagsüber und während der abendlichen gemütlichen zusammenkünfte unter teilnahme der allzeit bereiten französischen herren fleissig weiter betrieben. Hier lösten sich die zungen zur französischen rede (dem discours bachique, einer errungenschaft der frankfurter tage, wurde eifrig gehuldigt), nicht minder fand der französische

1

1 Der vortrag kommt in den N. Spr. zum abdruck.

gesang seine pflege. Die damen, welche sich im hörsal in die arbeit des berufes mit uns teilten, versagten den geselligen abenden ihre teilnahme nicht und trugen zur bereicherung derselben kollegialisch das ihre bei. Die seele aber dieses geistgewürzten, kollegial herzlichen und frohen treibens war der unermüdliche Walter.

Ehe ich nunmehr die eindrücke wiedergebe, welche ich aus dem klassenunterrichte an den verschiedenen reformschulen in Frankfurt und Bockenheim davongetragen habe, halte ich für nötig, zu bemerken, dass ich mit unfertigem urteil über die neue methode die reise nach Frankfurt in der hoffnung angetreten habe, auf manche mir noch offene frage daselbst die antwort zu finden. Des weiteren schicke ich voraus, dass ich in meinem urteile über die einzelnen stunden, insofern dieselben zur parade vorbereitet waren oder nicht, mit den übrigen kollegen, die demselben unterrichte beiwohnten, übereinstimme, und dass ich in meinem berichte diesem umstande gewissenhaft rechnung getragen habe. Der lehrplan der reformschule ist bisher in den drei unteren klassen durchgeführt; ich habe an zwei anstalten dem französischen unterricht in VI, V und IV beigewohnt, dem englischen an einer dritten in UIII und an einer vierten in O III und UlI. Dazu kommt als im vordertreffen die sexta der musterschule, welche Walter in 3 stunden dem gesamten kursus vorführte.

Ob nun eine klasse seit weihnachten von ihrem lehrer durch ein paar stunden wieder in zug gebracht worden war, oder ob sie denselben zugleich mit den fremden gästen zum erstenmale wieder sah, so dass ihre kenntnisse in stärkerem masse der auffrischung bedurften, ob bereits durchgenommenes wiederholt oder zu neuem fortgeschritten wurde, das endergebnis war für mich in jedem falle das gleiche: ein siegreiches bestehen nicht etwa nur dieses oder jenes lehrers, sondern der methode. Wo geringere leistungen vorlagen, da bewies der gang der stunde, dass gegen die methode gesündigt war.

Das trat klar in bezug auf die aussprache hervor. Wo die lauttafel reichliche verwertung fand, bei vorkommenden fehlern sofort stramme lautliche schulung einsetzte, da verleugneten die schüler, wenn sie französisch sprachen, ihre frankfurter herkunft gänzlich; zudem hatte der lehrer nie einen aussprachfehler selbst zu verbessern, vielmehr wurde der verstoss schon von den sextanern selbst herausgehört, an der lauttafel nachgewiesen und richtig gestellt. Welche arbeit damit geleistet war, das bewiesen die greuel der lautbildung und des satztones da, wo die lauttafel mehr eine dekoration des schulzimmers bildete und das einüben der laute mit den einzelnen und im chore auch nur gelegentlich und dann mit nachsicht betrieben wurde. In quarta, und zwar gerade einer solchen klasse, die erst seit einem vierteljahre vertretungsweise in der hand eines probekandidaten war, lasen die schüler und sprachen überraschend fliessend und korrekt. Auch hier wurde die lauttafel wenig benutzt, aber deshalb, weil sie entbehrlich geworden war. Gesungen wurde in allen klassen und mit lust, an der einen anstalt trug sogar der gesamte schülerchor deutsche, französische und englische lieder vor. Erfreuliches kam allerdings nur

dort zutage, wo sonst auch strenge lautliche zucht gehandhabt wurde. Die vorzüge und nachteile des gesanges als eines mittels der lautlichen schulung hatte professor Förster berührt und gezeigt, wie derselbe einerseits die klare artikulation fördern kann, andrerseits aber dem satztone abbruch thut. Da war es denn interessant zu hören, wie die sextaner ein liedchen (A Paris, à Paris) vortrugen, dessen melodie Walter, selbst so erfunden hatte, dass der rhythmus sich mit dem französischen satztone deckte. Walter lehrte seine sextaner den anfang eines neuen liedes derart, dass er auf das zeilenweise vor- und nachsprechen nebst der erklärung jedesmal sofort die einübung der sangesweise folgen liess. Das in der einen stunde gewonnene sass am folgenden tage sprachlich durchaus fest.

Durch alle klassen gleichmässig überzeugend waren die erfolge des imitativen und anschauungsverfahrens hinsichtlich des mündlichen ausdrucks. Die feuerprobe bestanden Walters sextaner, über welche sämtliche franzosen geschickt wurden. Die kinder fassten die frage schlagfertig auf und standen unbefangen rede und antwort. Nicht anders erging es in der englischen anfängerklasse, die auf alle fragen aus dem zuhörerkreise sich nicht minder gerüstet erwies als auf die des eigenen lehrers. Für die improvisirte besprechung einer bildertafel (der australiergruppe aus der Lehmannschen sammlung) bedurfte es in der englischen O III nur geringer zuthaten seitens des lehrers. Das fortschreiten im lektürepensum konnte in der französischen quarta, sowie in der englischen O III und II so gehandhabt werden, dass das verständnis des neugelesenen ohne zuhilfenahme des deutschen gesprächsweise vermittelt und kontrollirt wurde, beispielsweise auch, und zwar schon in V im französischen, bei geschlossenen büchern, indem der lehrer das neue lesestück satzweise vorlas und gleich französisch besprach. Die englische O III war im stande, eine französisch vorgetragene ihr unbekannte erzählung englisch mit befriedigender glätte wiederzugeben. Der wortschatz der schüler war sehr beträchtlich und liess die segnungen des sprachbetriebs unter steter berücksichtigung des logischen zusammenhangs erkennen. Wo den schülern der sinn einer vokabel zunächst dunkel war, kam ihnen die erinnerung an eine stelle, wo sie dasselbe wort in anderem zusammenhange kennen gelernt hatten, spontan und rasch zuhilfe, und das in auffallend häufiger wiederkehr. Daher waren sie auch um die beibringung von beispielsätzen zu einem oder dem anderen grammatischen falle nie verlegen. In der bereits wegen ihrer glänzenden aussprache hervorgehobenen quarta kam bei der besprechung der wandkarte von Frankreich und anderer realien ein geradezu erstaunlicher reichtum an vokabeln und idiomatischen wendungen zutage; ich glaube, während der ganzen stunde fiel nicht ein einziges deutsches wort. Öfter ist es mir aufgefallen, dass knaben verschiedener klassen, die gelegentlich deutsch angeredet wurden, französisch antworteten. Gelesen war reichlich und gründlich.

Gleich günstiges lässt sich vom freien schriftlichen ausdruck der schüler in der fremden sprache berichten. Bereits die quintaner einer

anstalt, deren zöglinge mir den eindruck nur mässiger begabung machten, lieferten an der wandtafel ansprechende zusammenhängende schilderungen nach den Hölzelschen bildern, in den englischen klassen kam es bis zu charakterbildern, die aus dem lesestoffe zusammengetragen waren, und ich füge ausdrücklich hinzu, dass weit mehr angeschrieben wurde, als in den wenigen tagen seit weihnachten ad hoc hätte eingepaukt werden können. Die tafel wurde überhaupt ausgiebig benutzt, bis zu vier schülern waren an derselben gleichzeitig beschäftigt, sodass der stoff zur gemeinsamen besprechung von schreibfehlern während der stunden nicht ausging.

Es waren durchaus nicht immer sprachgenies, die an der tafel arbeiteten, und doch darf man behaupten, dass zum mindesten nicht mehr fehler unterliefen als bei der alten methode auch. Im gegenteil, die mancherlei freien ausarbeitungen in den heften, welche teils auslagen, teils in einer durch Walters liebenswürdiges entgegenkommen besonders anberaumten sitzung herumgingen, schlugen in bezug auf orthographische korrektheit die extemporalien und exerzitien der übersetzungsmethode. Nach allem, was ich gesehen habe, ist mir der beweis erbracht, dass der weg vom laute zur schrift vor dem umgekehrten den vorzug verdient. Wie oft haben nicht die schüler eine neue vokabel, die ihnen vorgesprochen war und die sie lautirt hatten, nach analogen bildungen richtig buchstabirt. In der erwähnten sitzung gab Walter eingehende erläuterungen zur methode der schriftlichen arbeiten. Da er zugleich einen aufsatz über denselben gegenstand für die N. Spr. in aussicht stellte,' so darf ich mir füglich versagen, hier des näheren darüber zu berichten.

Über das grammatische verständnis unter den schülern masse ich mir kein urteil an, weil ich glaube, dass ein solches jedesmal nur durch längere persönliche fühlung mit den einzelnen klassen zu gewinnen ist. Immerhin darf ich feststellen, dass die klassen mit einer einzigen ausnahme keineswegs durch grammatische fehler auffielen, weder beim schreiben noch beim sprechen. Beeinflussung durch das deutsche war am wenigsten zu spüren; fehler gegen die wortstellung kamen kaum vor, und gerade mit diesen hat man sich bei der übersetzungsmethode sattsam herumzuschlagen. Die sextaner beherrschten eine menge von sogenannten regelmässigen und unregelmässigen verben, soweit deren tempora für den beschreibenden gang des unterrichts in betracht kommen, dazu die possessiv- und die personalpronomina durch alle kasus mit souveräner sicherheit; wo sonst formen gepaukt wurden, fielen die antworten schlagfertig und richtig. In der einen quinta wurden die verbalformen sehr zweckmässig nur im zusammenhange ganz kurzer, der umgangssprache entlehnter sätze abgefragt. Merkbare unsicherheit herrschte unter den sextanern bezüglich des geschlechtes der substantive, höher hinauf legte sich dieselbe jedoch vollkommen; in quarta sind mir nur zwei fälle derart aufgestossen (der schwerere le prison, der

'Siehe N. Spr. II, s. 437–42.

« PreviousContinue »