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gründen, daß keine moralische Freiheit je so vollkommen gedacht werden könne, um die Zulassung einer absoluten bürgerlichen zu rechtfertigen. Von der Masse des Menschengeschlechts nach ihrer jebigen Sittlichkeit zu schließen, ist nur unausbleiblicher Mißbrauch der reinen, absoluten Freiheit, sobald sie ihr verliehen würde, zu erwarten. Nur der Tugendhafte im erhabensten Sinne verdient diese Freiheit; allein kann sie, kann die völlige Gefeßlosigkeit ihm wohl mehr geben, als was er in der Unabhängigkeit seines Geistes von allem Bösen schon besigt? Wenn es ein Ideal dieser Art, oder auch nur daran grenzende Menschen gibt, so ist doch ihre Anzahl viel zu unbedeutend, um bei dem Entwurfe gesellschaftlicher Verträge in Anschlag gebrächt zu werden. Alle solche Verträge sind Nothbehelfe unserer Unvollkom menheit und können ihrer Natur nach nichts anders als einen relativen, erreichbaren, ich möchte sagen mittleren Grad der bürgerlichen sowohl als der moralischen Freiheit, durch eine zweckmåßige Vertheilung der Kräfte und das dadurch entstehende künstliche Gegengewicht der Theile des Staates untereinander bewirken. Wie sanft, muß das Haupt dessen ruhen, der einem zerrütteten, feiner Auflösung nahen Staate zur Wiederlangung dieser Freiheit neue Kräfte und Organe schuf!

X.

Nachen.

Burscheid liegt an der Ostseite der Stadt und man hat dorthinaus einen angenehmen Spaziergang. Die Abtei ist schön gelegen und mit allem geistlichen Prunke aufgeführt. Gleich daneben zieht ein Wäldchen sich an einem großen Teiche hin, und indem man unvermerkt weiter kommt, geråth man endlich in ein enges, von waldigen Hügeln umschlossenes Thal, wo sich nicht nur mehrere heiße Quellen durch ihren aufsteigendem Brodem verrarrthen, sondern sogar ein ganzer Teich mit heißem Wasser angefüllt ist. Indem man an einer Reihe von schönbeschatteten Wasserbehåltern fortwandert, erblickt man die romantischen Ruinen

des alten Schlosses Frankenberg, innerhalb deffen Mauern ein Gastwirth den guten Einfall gehabt hat, sich eine Wohnung einzurichten, welche manchem verirrten Badegaste sehr zu statten kommt, da man hier allerlei Erfrischungen und zugleich eine reizende Aussicht genießen kann. Was indessen das Vergnügen dieses Aufenthalts stört, ist die Nachricht, womit der Fremde bald bekannt gemacht wird: daß sich hier seit acht Jahren bereits zehn Menschen in einem Anfalle von Melancholie ersåuft haben. Ich suchte vergebens die Veranlassung zu dieser düstern Stimmung in der hiesigen Gegend, die so viel Abwechselung hat, so schön bewachsen und so vielfältig dekorirt ist. Was hier zur Trauer und zur Verzweiflung führt, ist vermuthlich das Hasardspiel, welches, seitdem es in der Stadt verboten ist, in Burscheid desto stärker getrieben wird.

Die Teiche in diesem Thale werden sorgfältig unterhalten, indem sie den in Burscheid befindlichen Nähnadelfabriken sehr zu statten kommen. Wir besahen nur das Merkwürdigste, nåmlich die Polirmühle, welche vermittels eines am Wasserrade_angebrachten Getriebes die erforderlichen Vorrichtungen in Bewegung fest. Von dem Krummzapfen steigt ein senkrechtes Gestänge in die Höhe, welches vermittels eines Daumens mit einer Horizontalwelle im zweiten Stockwerke des Gebäudes in Verbindung steht und sie hin und herschwankend bewegt. Die Nadeln liegen in Rollen von dickem, hånfenem 3willich eingewickelt, zwischen Schichten von scharfen Kieseln, von der Größe einer Linse, welche man aber zuleht mit Sågespåhnen vertauscht. Indem sich nun die Walze bewegt, zieht sie ein in Haken hangendes, wagerechtes Gatter hin und her, wodurch die darunter liegenden Rollen bewegt und die darin befindlichen Nadeln polirt werden. Unter jedem Polirgatter liegen zwei Rollen und jede Rolle enthält drei= malhunderttausend Nadeln. Ich freute mich, hier wieder zu be= merken, wie viel man durch mechanische Uebung an Geschicklichkeit gewinnt. Einen Haufen verwirrt durcheinander liegender Nadeln bringt der gemeinste Arbeiter durch Schütteln und Schwingen eines Kastens in wenigen Augenblicken vollkommen in Ordnung.

Burscheid beschäftigt nach Verhältniß mehrere Tucharbeiter als die Stadt Aachen. Die ansehnlichste Fabrik, die des Herrn von Lowenich, besteht aus sehr weitläufigen, gut angelegten Gebäuden, und ihre Tücher werden vorzüglich geschäßt. Hier so

wohl, als in Vaals und in Aachen selbst verfertigt man blos einfarbige Tücher, die im Stück gefärbt werden, da hingegen Verviers und die dortige Gegend blos melirte Tücher, die schon im Garn gefärbt find, liefern. Vigogne oder Vikuntůcher werden insbesondere zu Monjoie fabricirt. Der Handel mit einfarbigen Tüchern scheint indessen ungleich sicherer zu sein, indem diese Fabrikate nicht, wie jene andern, dem Eigensinne der Mode unterworfen, sondern auf ein dauerndes Bedürfniß berechnet sind.

Wenn man in Aachen auf wirklich vorhandene Verordnungen hielte, so dürften daselbst keine andere Tücher als blos von spanischer Wolle gewebt werden. In Vaals bestehen wirklich Kette und Einschlag aus spanischer Wolle, nicht blos der Einschlag, wie in andern deutschen Fabriken.

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Diesen ersten Stoff bezieht also der hiesige Tuchfabrikant unmittelbar aus Spanien. Die feinste Wolle erhält man aus Bilbao wegen der Nähe der vortrefflichen Weiden von Asturien und Leon, die gröbere kommt von Cadix. Nachdem sie in Oftende gelandet worden, geht sie wieder auf Kandlen bis Herzogenbusch und dann zur Achse nach Aachen. Hier wird sie zuerst in ausgemauerten Vertiefungen gespült, aus denen man das unreine Wasser nach Gefallen ableiten kann. Um allen Betrug der Arbeitsleute zu verhüten, hat man diese Wollwäschen an freien, frequentirten Dertern angelegt. Wo diese Vorsicht nicht gebraucht wird (welches in der Stadt der Fall ist, wo man zuweilen auch das Waschen bei Nacht gestattet), da kann man oft durch die strengste Aufsicht der Entwendung eines ansehnlichen Theils der zugewogenen Wolle nicht vorbeugen. Je nachdem der Arbeiter sie mehr oder weniger mit Wasser angefüllt zurückliefert, steht es bei ihm, den Fabrikanten unvermerkt um sein Eigenthum zu betrügen.

Die reine Wolle wird den Landleuten zum Spinnen ausgetheilt. Für Aachen und die umliegenden Fabrikorte spinnen hauptsächlich die Limburger und die Flammånder. Im Herzog= thum Jülich, wo der Ackerbau sehr stark getrieben wird, hat der Landmann viel zu harte Hånde, um einen feinen Faden zu spinnen. Bei der Viehzucht auf den fetten Weiden von Limburg, wo die Hauptbeschäftigung des Bauers in Butter- und Kåsemachen besteht, erhalten sich die Finger geschmeidiger, und überall spinnen Kinder und Weiber den feinsten Faden. Solche

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Beziehungen, welche die verschiedenen Wohnorte der Menschen und die denselben jedesmal angemessenen Modifikationen des Erwerbes und der Lebensart mit sich bringen, interessiren um so mehr, wenn man sie erfährt, weil man nur durch die besondern Bedürfnisse einer großen Fabrikanstalt und durch das ernste Nachdenken über die Mittel, ihr Vollkommenheit zu geben, zur Wahrnehmung derselben geleitet wird. Aehnliche Bedürfnisse haben den spekulirenden Geist in Berlin auf die Bemerkung geführt, daß der Soldat zum Spinnen ungleich geschickter ist als der pommerische Bauer. Wollte man diese Spekulation noch weiter fortseßen, so müßte man von dem Sage ausgehen, daß eine jede Kunst desto vollkommener getrieben wird, je mehr sich die Kräfte des Menschen darauf concentriren. Unstreitig also würde man es im Spinnen weiter bringen, wenn es durch fabrikenmåßige Anstalten, wo die Spinner einerlei Licht, Wärme und Obdach genöffen, so vortheilhaft eingerichtet würde, daß eine eigene, arbeitsame Klasse von Menschen sich blos diesem Gewerbe ergeben und davon allein subsistiren könnte. Menschen, die vom siebenten Jahre an sich nur dieser Beschäftigung wid= meten, müßten in kurzem die Fertigkeit erlangen, besser und schneller als alle andern, die das Spinnen nur als Nebenwerk treiben, mit der Wolle umzugehen; und indem sie beides, fei= nere Fåden und in größerer Menge, lieferten, würde ihre Arbeit wohlfeiler werden, ohne ihnen selbst Nachtheil zu bringen. Wie aber eine solche Anstalt mit den jest gebräuchlichen Erwerbarten des Landmannes in eine Gleichung zu bringen wäre, so daß der Bauer, der schon nicht der glücklichste ist, durch den Verlust des Nebenverdienstes, den er vom Wollspinnen zieht, nicht zu Grunde gerichtet würde, verdiente noch eine sorgfältige Untersuchung, wobei man immer wieder auf die längst gemachte Erfahrung zurückkommen müßte, daß der ungeheure Druck, unter welchem der Landmann feufzt, das erste und unüberwindlichste Hinderniß bleibt, welches sich der Vervollkommnung aller Zweige der Industrie entgegenseßt. Man wundert sich, daß das Uebel nicht von Grund aus gehoben wird, und bedient sich doch keiner andern als der Palliativkur. Daher ist auch die ganze neuere Staatswirthschaft und die gepriesene Verschmißtheit der Finanzbeamten nichts als die verächtlichste Charlantanerie, oder, was noch årger ist, ein verabscheuungswürdiges System von Kunstgriffen, wodurch der Unterthan, genau wie der Negersklave in

den Zuckerinseln, nur nicht unter derselben Benennung, zum Lastthier herabgewürdigt wird, deffen Unterhalt jährlich einen be stimmten. Ueberschuß abwirft. Stört man durch eine neue, für die Vervollkommnung des Kunstfleißes vortheilhafte Einrichtung das allergeringste an diesem zerbrechlichen, aufs äußerste gespannten Mechanismus, so treffen die Rechnungen nicht mehr zu, und der Plusmacher, der nur rechnen kann, sucht den Fehler seines leeren Kopfes und Herzens in der vorgeschlagenen Neuerung. Ueberall, wo Fabriken nicht das Werk der freien Be= triebsamkeit des Bürgers, sondern lediglich Finanzspekulationen der Regierung sind, wird daher auf die Vortrefflichkeit der Fabrikate weit weniger gerechnet als auf den Absak, den man durch Verbote erzwingen kann, und es liegt also in den ersten Grundsågen, nach welchen man eine solche Anstalt werden läßt, die Unmöglichkeit, sie zu der Vollkommenheit, deren sie fähig ist, fortzuführen. Oft fångt man da mit Vorkehrungen an, we man eigentlich aufhören sollte, wie es z. B. bei den Baumwollenmanufakturen in einigen Låndern der Fall ist, wo man zwar Farben, Pressen u. dergl. angeschafft, aber auf gute Gespinnste nicht gedacht hat. Diese Fehler, wodurch sich nur die Unwissenheit der Administrationen verråth, sind indeß noch verzeihlicher als wenn in Staaten, deren Bevölkerung verhältnißmäßig ge= ring ist, die Erfindung und Anlegung solcher Maschinen, welche die Arbeit vieler Hånde entbehrlich machen, laute Klagen veran= laßt. Diese Klagen, die in freien Låndern, wo der Fleiß jede Richtung nehmen darf, unerhört sind, gereichen dem Despotismus zur Schande, indem es seiner Willkür leicht werden muß, die außer Brod gesezten Hånde anders zu beschäftigen. Allein das schöne Schauspiel der Arbeitsamkeit bleibt des ausschließende Eigenthum freier Völker.

Geistlicher und oligarchischer Zwang hat den Fleiß aus den Mauern von Uachen vertrieben. Die Protestanten, die von manchen Bürgervorrechten ausgeschlossen und des Zunftwesens måde waren, fanden eine Stunde Weges von der Stadt, auf hollåndischem Gebiete, nebst der freien Religionsübung, auch die Freiheit, mit ihrem Vermögen und ihren eigenen Kräften nach ihrer Willkür hauszuhalten. In Vaals halten jezt fünf Gemeinen (Katholiken, Lutheraner, Reformirte, Juden und Mennoniten) ruhig ihren Gottesdienst nebeneinander und jeder Einwohner hat außer einem festgesetten Grundzins, nach åcht physiokratischen

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