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XI.

Lüttich.

Es kommt mir vor, als wären wir durch den Schlag einer Zauberruthe in ein anderes Land verseßt, so unendlich verschieden ist alles, was ich hier um mich sehe, von demjenigen, was ich noch vor wenigen Stunden in Aachen verließ. Schon der erste Anblick der Stadt war überraschend. Man wird sie aus der Ferne nicht gewahr, denn sie liegt in einem tiefen Thal an der Maas, die in mehrere kleinere Arme zerspringt. Es gibt wenig schönere Aussichten auf eine gleichsam unter den Füßen liegende Stadt, als diese, die ich von der Karthause hinunter, indem wir hineinfuhren, genoß. Ich weiß nicht wie es kam, aber ich hatte mich auf ein kleines Städtchen gefaßt gemacht; und wie erstaunte ich nun, als ich eine große Stadt erblickte, die hunderttausend Einwohner enthalten kann und wirklich enthålt. Wunderschön schlängelt sich die Maas, die hier noch von mittlerer Breite ist, hindurch und nåhert sich bald auf der einen, bald auf der andern Seite dem Abhange der Berge, zwischen denen sich das Thal als eine ebene, so weit das Auge trågt mehrentheils mit Hopfen bepflanzte und mit einigem Wiesewachs vermannigfaltigte Fläche zieht. Nach allen Richtungen ist die Stadt mit Steinkohlengruben umgeben, ja sie steht zum Theil auf den bereits abgebauten, ausgehöhlten Kohlenbergwerken. Zu beiden Seiten des Flusses, jedoch so, daß auf die Exposition nach Süden Rücksicht genommen wird, an den in einiger Entfernung sich erhebenden Gehängen des Thals erstrecken sich weitläuftige Weinberge, die also wieder, wie die bei Hochheim, auf Steinkohlen liegen. Die Flöße sind sehr beträchtlich und an manchen Stellen tief unter dem Bette der Maas bereits ausgeleert. Die entfernteren Hügel sind mit (Ulmen, Pappeln und andern Bäumen bewachsen und mit Landhäusern, Schlössern u. f. f. reichlich verziert. Um Ufer des Flusses erstreckt sich ein Quai, der sich in eine schöne hochstämmige Allee endigt.

Die Straßen von Lüttich sind enge, winklicht, krumm und nicht sehr reinlich; es gibt indeß doch mehrere schöne Gebäude; an dem Quai, an den offenen Plähen und auf der sogenann

ten Insel hinter der St. Jakobskirche bemerkte ich eine Menge guter, neuer Häuser. Der bischöfliche Palast ist ein Viereck, dessen inwendiger Hof rundum einen Säulengang hat, wenn man anders die abscheulichen, kurzen, bauchigen Dinge mit Kapitálern und Fußgestellen so nennen will. Die äußere Facciate hingegen, nach der Kathedrale zu, ist desto schöner, in einem gutenGeschmack mit rein jonischen Pilastern. Die Dominikanerkirche mit einer schönen, runden, einfachen Kupole, die nach einer in Rom kopirt ist, zeichnet sich ebenfalls vortheilhaft aus. Die alte gothische Kathedralkirche bot uns dafür desto weniger Bemerkenswerthes dar.

Der beständig fortdauernde Lärm und das Gewühl in den Straßen zeigt von einer außerordentlichen Betriebsamkeit. Dieses Schauspiel von durcheinander laufenden geschäftigen Menschen, so schmußig auch die meisten aussehen, gewährt mir einen auBerordentlichen, sehr lange entbehrten Genuß. Die Köhler, die Messer- und Waffenschmiede und die Spiegelmacher sind ein rohes aber rustiges, lebhaftes, heftiges Volk, deren Thätigkeit mit dem Phlegma der Aachner schneidend kontrastirt. Die Volksphysiognomien haben hohe, gerade in die Höhe gehende, an den Seiten zusammengedrückte Stirnen, breite Jochbeine, schwarze nicht gar große Augen, wohlgebildete, zuweilen ein wenig aufge= worfene Nasen und dicke Lippen, bei einem nicht gar reinen Teint. Sie nåhern sich also den französischen und unterscheiden sich auffallend von den jülichischen, die gewöhnlich bei einer sehr weißen Hautfarbe und blondem Haar, durch die länglichfleischige Form des Gesichts und die weicheren Züge eine gewisse Verwandtschaft mit den Niederländern verrathen. Die Lütticher können ihr französisches Blut nicht verläugnen; sie sind eben so leichtsinnig-fröhlich, eben so gutmüthig, eben so mit einer, ich möchte sagen angebornen Höflichkeit begabt und sprechen auch einerlei Sprache, wiewohl so durchaus mit Provinzialismen verdorben, daß ein Mitglied der pariser Akademie sie schwerlich für Brüder erkennen würde. Außerdem spricht das gemeine Volk eine Art Kauderwelsch, welches man unter dem Namen der wallonischen Mundart kennt. Dieses ist den Fremden völlig unverständlich, indem die ursprünglich altfranzösischen Wörter ganz verunstaltet, bald abgekürzt, bald mit andern Endungen und in ei= ner ganz besondern Construktion erscheinen. So zum Beispiel heißt: lei po wei, laßt mich sehen, statt des französischen: laissès

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moi voir; und wieder: serre l'hou, mach die Thüre zu, statt: ferme la porte. In dem lehtern Ausdruck ist hou das alt= französische huis, wovon noch à huis clos und huissier übrig sind. Französische Eleganz habe ich in den Kleidertrachten, zumal der geringeren Klasse, freilich nicht bemerkt; doch diese würde man auch in Frankreich selbst bei dieser Klasse vergebens suchen. Die Lütticher Weiber tragen kurze gestreifte Röcke, Leibchen oder auch eine Art weiter Jacken von Kattun mit Ermeln, die mit demselben Zeuge frisirt sind und Kattunmäntel, die aber nur bis an die Taille reichen. Wenn sie ausgehen binden sie ein roth= und gelbgeflecktes Baumwollentuch über die Haube um den Kopf; doch gehört dieser Puß vermuthlich nur zu den Verwahrungen, die der noch immer fortdauernde scharfe Nordwind nothwendig macht.

Unsere Fahrt von Aachen hieher, auf der Diligence, zeich nete sich wenig aus. Wir hatten die ersten Plåße, allein beim Einsteigen fanden wir drei Frauenzimmer darauf; folglich schwiegen wir von unseren Ansprüchen und festen uns wo wir zukom men konnten. Einmal saßen elf Personen in diesem ungeheuren Wagen, weil unterweges einige Passagiere abstiegen und mehrere hinzukamen. Die Gespräche über politische Gegenstände nahmen kein Ende. Es freute mich indeß die erstaunliche Menge neuer Ideen in Umlauf anzutreffen, da sie vor zehn Jahren zuverláßig allgemeines Aufsehen, oder gar die Indignation der Majoritåt auf den Postwågen in Deutschland und Brabant erregt håtten.

Nachdem wir durch einen schweren Sandweg in einer tiefen Schlucht die Höhe des Berges, der das Gebiet der Stadt Aachen von der Provinz Limburg scheidet, erreicht hatten, lag dieses herrliche Land wie ein Garten vor uns; und je weiter wir hineinkamen, desto reizender ward die Aussicht auf die kleinen umzäunten Wiesen und Viehweiden, welche die sanften, wellenförmigen Hügel bedecken. Ueberall ist diese Gegend mit einzel= nen oder höchstens zu drei und vier beisammengestellten Hütten gleichsam besået, die zum Theil massiv oder von Backsteinen, zum Theil von Fachwerk gebauet, ein wohlhabendes Völkchen andeuten, das hier von der Viehzucht und vom Wollspinnen lebt. Auf viele Meilen weit sieht man die wogichten Hügel überall mit lebendigen Heerden und hier und dort auch mit hochståmmigen Bäumen geziert; auf Meilen weit liegen, ein paar gute

Büchsenschüsse von einander, die einzelnen Bauerhütten. Es ist unmöglich sich hier etwas anderes, als Einfalt und Gleichheit der Einwohner, zu denken; man irrt in Gedanken von Haus zu Haus und erblickt überall fleißige Spinner, frohe Hirten und reinliche Kåsemacher. Die Ufer der Maas begrenzen endlich diese Aussicht, indem sie unweit Mastricht in der Ferne den jåhen weißen Absturz dem Auge darbieten, der mit seinen häufigen Petrefakten den Naturforschern unter dem Namen des Petersberges bekannt ist. Clermont, ein artiges Dörfchen, liegt am Wege und in dieser Gegend schien uns die limburgische Landschaft vorzüglich reich und schön. Auf den ersten Blick hat es etwas einladendes, wenn man so die zerstreuten Wohnungen sieht, wo jeder um seine Hütte her sein Fleckchen Landes besist, sein Vieh darauf weiden läßt oder auch, wie es weiter hin nach Lüttich zu der Fall ist, seinen Weizen sået. Man denkt sich dabei eine natürliche Bestimmung des Menschen, die Erde zu bauen und zu besigen. Allein diese Vereinzelung kann ihn nicht bilden und der zehnte Theil aller in ihn gelegten Kräfte wåre für den Hirten hinreichend gewesen. Sollte der Mensch inne werden was es sei, das sich in ihm regt, so mußte sich in verschiedenen Einzelnen bald diese, bald jene Fähigkeit entwickeln, auf Kosten jener allzueinfachen Bestimmung, welche die Wohlthaten des geselligen Lebens nicht kennt, weil seine Bedürfnisse ihm fremd sind. Ich habe die guten Limburger nicht in der Nåhe beobachten können; allein ihre Vereinzelung gibt mir Ursache zu vermuthen, daß ihr Ideenkreis äußerst eingeschränkt sein müsse.

In den Städten mag es indeß schon anders beschaffen sein. Hier sahen wir zum erstenmal die brabantische Kokarde, dieses furchtbare, nun aber so oft ohne åchten Freiheitssinn nachgeahmte Freiheitszeichen; auch begegneten uns einige brabantische Truppen, deren Anblick indeß keine Ehrfurcht einflößte. schienen völlig undisciplinirt, wußten ihr Gewehr nicht zu regieren und sollen auch von der im Dienste unentbehrlichen Subordination gar keine Begriffe haben. Ihre Kleidung ist ein bloßer Ueberrock, der schlechterdings kein militairisches Ansehen hat. AuBer diesem einzigen Stücke, welches ihnen eine gewisse Uniformitåt gibt, sieht ihr übriger Anzug buntscheckig und oft zerrissen aus. Die meisten, die uns zu Gesichte kamen, waren junge Leute und einige konnte man beinahe noch Kinder nennen. Ihre

Erscheinung in der Provinz mag indeß die Staaten von Limburg über ihre eigene Sicherheit ein wenig beruhigt, haben; denn, weil sie sich gewisse Rechte anmaßten, die das Volk ihnen nicht zugestehen will, zogen sie bisher von einem Orte zum andern, von Herve nach Battice und von da noch nåher an Aachen, in das Dorf Henri-chapelle, wo sie in einer elenden Schenke ihre Versammlungen halten.

Der Abstich von jenen erbårmlichen Rotten des brabantischen Pfaffendespotismus zu diesen rüstigen Lüttichern gehörte mit zu den Dingen, die uns gleich beim Eintritt in die Stadt in Erstaunen segten. Sowohl die eigentlichen besoldeten Stadttruppen, als die Freiwilligen, sind gut und zum Theil recht schön gekleidet. Es ist ein allgemeines Regen und Gåhren unter ihnen und im Volke, wegen des bevorstehenden Abmarsches der Preußen. Vielleicht hat auch die Gegenwart und das Beispiel dieser musterhaften Truppen dazu beigetragen, ihnen die Begriffe von Disciplin, Subordination und Taktik nåher zu bringen, als sonst geschehen wåre; vielleicht haben sie ihnen das Exerciren abgesehen und sich geschämt im Beisein ihrer Meister schlecht zu bestehen; vielleicht kann man endlich auch vermuthen, daß Menschen, deren Gewerbe in der Fabrikation von Gewehren und in den anstrengenden Köhlerarbeiten besteht, eines Theils mit den Waffen selbst vertrauter, andern Theils aber beherzter und gleichgültiger gegen die Gefahr sein müssen, als die brabantischen Bauern und die limburgischen Hirten. Wirklich scheint es, wenn Muth den Mangel an Disciplin ersehen kann, daß sie nur eines geschickten Anführers bedürfen, um für die Verfassung, die sie sich selbst gegeben haben, mit Nachdruck zu streiten.

Wir wanderten durch die Straßen und suchten uns so viel als möglich mit dem Volk in Unterredung einzulassen, um uns durch eigene Erfahrung von der herrschenden Stimmung zu überzeugen. Es bedurfte keiner Künste, um die Leute zur Sprache zu bringen. Sie waren durchgehends von ihren politischen Ver= hältnissen bis zum Ueberströmen voll, hingen daran mit unglaublichem Eifer und schienen sich im gegenwärtigen Zeitpunkte, wie alle freie Völker, mit den öffentlichen Angelegenheiten beinahe mehr, als mit ihren Privatbedürfnissen zu beschäftigen. Die Namen des Königs von Preußen, des Grafen von Herzberg, des Generals von Schlieffen und des Herrn von Dohm wurden nicht anders als mit einem Ausdruck der Verehrung und Liebe,

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