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der Gemüther und die dunkle Aussicht in die Zukunft erwägt. Die Ausschweifungen des Pöbels lassen sich nicht berechnen, sobald er einmal aufgeregt ist und das mit Zügellosigkeit so leicht von ihm zu verwechselnde Wort: Freiheit! zu seinem Wahlspruch genommen hat. Der Auflauf vom siebenten October, welcher einem jungen Freiwilligen das Leben-kostete und wobei der Pöbel vom Kirchspiel St. Christoph den Magistrat nöthigte, eine milde Stiftung, deren Interessen sonst jährlich vertheilt wurden, auf einmal unter die jest lebenden Armen auszuspenden, beweist, was man von dem lebendigen Werkzeuge befürchten müsse, dem man das Bewußtsein seiner Kräfte leichter beibringen kann, als den Begriff von gesehmäßigem Betragen.

Außer jenem Todesfalle scheint bis jest der härteste Schlag, den das Schicksal hier austheilte, den vortrefflichen Anführer des preußischen Heeres getroffen zu haben. Auf dem Marsche von Lüttich nach Mastricht glitt sein Pferd an einer abschüssigen Stelle, wo unter dem aufgethauten Schnee noch eine Eisrinde lag, so daß es zweimal überschlug und feinem Reiter das Bein zerschellte. Dieser Vorfall, der nur schmerzhaft und unangenehm wegen der gehemmten Thätigkeit war, håtte dem General leicht tödtlich werden können, da er seine Arbeiten in Mastricht mit unablässigem Eifer betrieb und sich dadurch eine schwere Krankheit zuzog, die indeß über seinen heitern, philosophischen Sinn nichts vermochte und endlich seinem guten Naturell weichen mußte. Ich habe ihn hier wieder gesehen. Unter den Empfindungen, welche Menschengröße weckt und Worte nicht entheiligen dürfen, gibt es eine so zarte, daß sie selbst die Dankbarkeit verstummen heißt.

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XII.

Löwen.

Sobald man von Lüttich aus die steile Höhe erreicht hat, die sich långs dem linken Ufer der Maas erstreckt, findet man oben eine Ebene, welche nur in geringen, wellenförmigen Wölbungen sich hier und da erhebt und ein reiches, fruchtbares Saatland G. Forster's Schriften. III.

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bildet, das an einigen Orten eine ziemlich weite Aussicht gew, t. Verschwunden sind nun hier die lebendigen Hecken, welche en= seits Lüttich die Necker und im Limburgischen die Wiesen und Weiden umzäunten. Oft sieht man auf sehr weiten Strecken nicht einen Baum; oft aber zeigen sich Dörfer in Espen- und Ulmenhainen halb versteckt. Der Frühling kämpfte ritterlich mit dem verzehrenden Ostwinde; denn die Blüthen von Birnen, Aepfeln, Kirschen, Schwarzdorn, Ulmen und Espen drangen trok der Kålte hervor, die von den Obstsorten indeß nur an warmen und geschüßten Wänden.

Durch das kleine Städtchen St. Trond im Lütticher Gebiete kamen wir nach Thienen oder Tirlemont, wo wir zu Mittag aßen. Auf dem Wege dahin nahmen wir eine Wirthin aus einer Dorfschenke in den Postwagen. Sie fing sogleich ungebeten an, indeß die übrige Gesellschaft schlief, mir von einer berühmten Ostertagsprozession zu erzählen, von welcher wir die Leute soeben zurückkommen sahen. Mehr als tausend Pilger zu Fuß und mehrere Hunderte zu Pferde ziehen über einen Acker und zertreten die darauf stehende, grüne Saat. Allein jedesmal wird der Glaube des Eigenthümers reichlich belohnt, indem fein Acker dieses Jahr ungewöhnlich reichliche Früchte trägt. Ein Bauer, der nicht glauben wollte und sich die Prozession verbat, ward von Gottes Hand gestraft und sein Acker blieb unfruchtbar. Ich begreife, sagte ich, daß das Niedertreten des jungen Korn ihm nichts schadet. Sie sah mich mit großen Augen an; oui, rief sie endlich in einem bedeutungsvollen Tone, la puissance de Dieu est grande! Ich verstand und schwieg.

Die Dörfer in dieser Gegend sind schön. Man bemerkt zwar noch manche leimerne Hütten, doch auch diese sind geräumig und in ihrem Innern reinlich; aber fast noch öfter sieht man Bauerhöfe ganz von Backsteinen erbaut. Die Einwohner haben in dieser Gegend etwas Edles und Schönes in der Phyfiognomie; der gemeine Mann hat ein schönes Auge, eine große, gebogene Nase, einen scharfgeschnittenen Mund und ein rundes, männliches Kinn. Wir glaubten die Originale zu den edleren Bildungen der flammändischen Schule zu sehen. Die Frauenzimmer zeichnen sich bei weitem nicht so vortheilhaft aus; ich habe hier noch kein schönes angetroffen, doch wäre dies auf einem so schnell vorübereilenden Zuge wirklich auch zu viel verlangt. Munterkeit, Thätigkeit, mit einem Behagen an finn

lichen Empfindungen und einer gewissen Ungezwungenheit ver= gesellschaftet, schienen mir an diesen Menschen hervorstechende Charakterzüge. Ich spreche nur vom Volk; aber das Schicksal der zahlreichsten Klasse hat auch den ersten Anspruch auf den Beobachter, und wenn ich mich in meiner Besorgniß nicht geirrt habe, so deuten jene Züge zusammengenommen auf einen ziemlich glücklichen Zustand des Landvolks.

Tirlemont ist eine reinliche, gutgebaute, kleine Stadt mit vielen massiven Gebäuden, die ihren ehemaligen Wohlstand noch bezeugen. Jetzt scheint sie von ihrer Nahrung viel verloren zu haben; doch werden hier noch wollene Waaren, Flanelle nämlich und Strümpfe, verfertigt. Der starke Unbau des Delrettigs, den man auf französisch Colsat oder Colza nennt, welches offenbar aus unserm Kohlsaat entstanden ist, beschäftigt hier ein Duhend Delmühlen. Auf die vortrefflichen Wege, die wir überall seit unserm Eintritt in die österreichischen Niederlande gefun= den hatten, folgte jezt eine Chaussee, welche bis nach Löwen in gerader Linie fortläuft und unzerstörbar zu sein scheint. Espen, Ulmen und Linden, oft in mehreren Reihen neben einander, beschatten diesen Weg und begleiten auch an manchen Stellen jeden Acker. Die häufigen Landhåuser und Dörfer, bald am Wege, bald in einiger Entfernung, zeugen von der starken Be= völkerung dieses fruchtbaren, schönen Landes, welches sich jedoch hier immer mehr bis zur vollkommnen Ebene verflächt. Un einigen Stellen sahen wir die Wecker und Wiesen mit Gråben umzogen; Saatland und Kleeåcker und Delfaamen wechselten mit den bereits zur Sommersaat gepflügten Feldern ab. Alles was romantisch ist mangelt dieser Gegend; dafür zeigen sich aber Ueberfluß und Kultur eines leichten, fruchtbaren, mit Sand ge= mischten Bodens.

Um der Sicherheit willen versahen wir uns hier mit der Kokarde von Brabant, die wir vielleicht noch långer håtten entbehren können; denn so kindischfroh noch alles in Brabant mit der neuen Puppe der Unabhängigkeit spielt, so ist gleichwohl die erste Wuth des Aufruhrs verraucht und man dürfte es leicht dem durchreisenden Fremden verzeihen, daß er nicht das patriotische Abzeichen aufsteckt. Allein, um der Gefahr einer Mißhandlung von einzelnen, unbåndigen Menschen nicht ausgeseßt zu sein, ist es immer rathsamer, sich lieber nach Landesart zu bequemen. Wir hatten überdies noch einen muthwilligern Antrieb,

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den die abentheuerliche Erscheinung eines unserer Reisegefährten veranlaßte. Die Gesellschaft bestand in einem alten französischen Chevalier de St. Louis, seiner Gouvernante und einem saarbrückischen Spiegelarbeiter, der wie ein ehrlicher Bauer aussah. Unterwegs gesellten sich noch ein französischer Kupferdrucker aus Lüttich und seine niederländische Frau dazu.

Der alte Ritter hatte wenigstens seine sechzig Jahre auf dem Rücken und war ein kleines, vertrocknetes Gerippe mit einem fauren Affengesicht und einer Stimme, die etwas zwischen Bár und Bratenwender schnarchte und knarrte. In seinen Zugen lag alles Eckige, Mürrische und Schneidende von Voltaire's Karrikaturgesicht, ohne dessen Satire, Risibilität und Sinnlichkeit. Den ganzen Tag kam der Alte nicht aus seinem verdrießlichen, kurz abgebrochenen, trocknen Ton; nicht ein einziges Mal schmieg ten sich seine verschrumpften Wangen zu einem wohlgefälligen Lächeln. Eine entschiedene Antipathie wider alles, was nicht auf seinem vaterländischen Boden gewachsen war, ein aristokratisches Mißfallen an der unerhörten Neuerung, daß nun auch der Póbel, la canaille, wie er sich energisch ausdrückte, Rechte der Menschheit reklamirte, und ein ungeberdiges Bewußtsein seiner Herkunft und Würde, welches sich bei allen kleinen Unannehm lichkeiten der Reise äußerte, schienen den Grund zu seiner übeln Laune auszumachen, die dadurch noch sichtbarer und lächerlicher ward, daß er offenbar in sich selbst einen innern Kampf zwischen der Lust zu sprechen und der Abneigung sich der Gesellschaft mitzutheilen fühlte. Er saß da in einem kurzen, ganz zugeknöpften Rock vom allergröbsten Tuch, das einst weiß gewesen war und das unsere Bauerkerle nicht gröber tragen; im Knopfloch das rothe Bändchen, auf dem Kopfe eine runde, weißgepuderte Perücke und einen abgetragenen, runden Hut mit flachem Kopf und schmalem Rande, der ihm folglich nur auf der Spihe des Scheitels saß, so oft er ihn auch ins Gesicht drückte. Die Gouvernante war eine ziemlich wohlgenährte, französische Dirne, mit einem wirklich nicht unebenen Gesichte, das eher feine Züge hatte und mit einer Taille, worüber nur die Verläumdung dem erstorbenen Ritter einen Vorwurf machen konnte. Sie schien ohne alle Ausbildung, bloß durch Nachgiebigkeit, und indem sie sich in die Launen ihres Gebieters schickte, ihn doch packen zu können, wo er zu packen war. Den ganzen Weg hindurch disputirte er mit ihr, verwies ihr Dummheit und Unwissenheit, be

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lehrte sie mit unerträglicher Rechthaberei und behielt am Ende immer Unrecht. Er affektirte von seinen Renten zu sprechen und zankte mit jedem Gastwirth um seine Forderungen. Diese vornehme Filzigkeit brachte ihn mit den Zollbeamten in eine verdrießliche Lage. Ein halber Gulden hatte unsere Koffer vor ihrer Zudringlichkeit gesichert; allein ob sie ihn schon kannten, oder hier ihre berüchtigten, physiognomischen Kenntnisse an den Mann brachten; genug, als hätten sie geahnet, er werde nichts geben, packten sie seine Habseligkeiten bis auf das leßte Stück Wäsche aus und ließen ihm den Verdruß, sie unsern Augen preis gegeben zu haben und wieder einzupacken, wofür er denn, sobald sie ihn nicht mehr hören konnten, eine halbe Stunde lang über sie fluchte. Durch eine ziemlich leichte Ideenverbindung kam er auf den Finanzminister Necker und ergoß den noch unverminderten Strom seiner Galle über ihn der Mann, sagte er, empfångt immer und zahlt niemals; lebte ich nicht von meinen Renten, ich müßte zu Grunde gehen, denn meine Pension bleibt aus." Zu St. Trond fingen wir an, von Kokarden zu sprechen, dies sehte ihn, der den Beutel so ungern zog, in Angst und Verlegenheit, zumal da wir dußerten, daß man sich leicht eine Mißhandlung zuziehen könne, wofern man ohne dieses Schiboleth der Freiheit sich auf den Straßen sehen lasse. Da wir es indeß doch für gut fanden, ohne Kokarde bis Tirlemont zu fahren, beruhigte er sich wieder. Hier aber steckten wir nach Tische die patriotischen drei Farben, schwarz, gelb und roth, an unsern Hut und versicherten mit bedeutender Miene: jest sei nicht långer mit den wüthenden Brabantern zu scherzen. Zwischen Furcht und Knauserei gerieth unser Ritter in neue Bedrångniß; mit der Gouvernante ward förmlich Rath gepflogen; sie stimmte für den Ankauf, und schon war er im Begriff, das Geld hinzuzählen, als die Liebe zu den vierzehn Stübern siegte und er sich, freilich mit etwas banger Erwartung, ohne Abzeichen in den Wagen sehte. Die Menge der Kokardenträger, die uns Nachmittags begegneten, beunruhigte ihn aber so sehr, daß er, wiewohl wir schon in der Dämmerung zu Löwen eintrafen, noch beim Abendessen mit einem vierfårbig gestreiften Bändchen um seinen schäbigen Hut, wie ein alter Geck, der auf dem Theater eine Schäferrolle spielt, zum Vorschein kam und nach hiesiger Landesart, ob wir gleich unbedeckt waren und in Gesellschaft einer von Antwerpen angekommenen Französin da saßen, ihn

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