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hier mit so großer Freigebigkeit ihre Pflege hatte angedeihen lassen, sollte nun auch dieser Schuß entzogen werden; dergestalt, daß in kurzem keine Spur von dem schöpferischen Geiste übrig sein wird, auf dessen Geheiß diese Steinmassen sich im schönsten Ebenmaße der griechischen Baukunst erhoben und tausendfaches Leben aus allen Welttheilen in diesen Gårten blühte! Dies ist das Schicksal der allzuzarten Blume der Geisteskultur; die Sorgfalt und Mühe von ganzen Menschenaltern sie groß zu ziehen, zerstört ein Hauch der Unwissenheit. Wie viele Jahrhunderte würden wohl hingehen müssen, ehe diese feisten Mönche von Sankt Michel, von Tongerloo und Everbude, von Gemblour, Grimbergen, Sankt Bernard, Vlierbeck und wie die dreizehn Abteien heißen, den åchten Menschensinn wieder erlangten, daß es etwas mehr in der Welt zu thun gibt, als den Leib zu pflegen und das Gebet der Lippen zu opfern? Ehe sie erkennen lernten, daß - ... Nein! wozu sollt' ich die Danaidenarbeit fortseßen und berechnen, wann die Unmöglichkeit möglich werden kann? Wer den Genuß kennt, wo Gefühl und Verstand, durch täglichen Kampf und täglichen Sieg bereichert, einander unaufhörlich berichtigen, der darf nicht rechten mit dem Schicksal, welches oft die Völker mitten in ihrer Laufbahn aufhålt und ihre Entwickelung zu höheren Zwecken des Daseins eigenmächtig verspätet. Die Menschheit scheint hier nicht reif zu sein zu dieser Entwickelung. Sie ist nicht unempfänglich für das Gute; allein ihr Wille wankt und ihr Geist ist gebunden. Ganz Brabant vergötterte den Herzog Albert; es war nur eine Stimme über seine Tugend; mitten in den heftigsten Ausbrüchen des Aufruhrs blieb die Liebe des Volkes ihm treu und äußerte sich im lauten Zuruf: Albert lebe! Aber nie dachte dieses Volk ohne eigene Energie den Gedanken, sich den Fürsten, den es liebte, statt der Tyrannen zu wählen, die seine Priester ihm gaben.

XIX.

Lille.

In ein paar regnigen Tagen sind wir von Brüssel durch das Hennegau nach dieser Hauptstadt des französischen Flanderns gekommen. Einige unbedeutende, wogige Erhöhungen des Erdreichs abgerechnet, läuft die Heerstraße überall in einer schönen, ebenen Gegend fort, und ist auch überall so vortrefflich und dauerhaft, wie jenseits Brüssel gebaut; der Boden hat völlig dafselbe Ansehen von Ergiebigkeit und der Anbau verråth eben den Fleiß. Mehrentheils sind die Wege mit hohen Espen bepflanzt; stellenweise zeigen sich ziemlich große Waldungen und verschönern den Aufpuß der Landschaft. Die kleinen Städte folgen so nahe auf einander, als wenn sie hingesået wåren, und wir freueten uns des Anscheins von Wohlstand, der darin herrschte.

Wenige Stunden brachten uns nach Enghien, wo der Herz zog von Aremberg sich jest aufhält. Sein Schloß ist alt und baufällig, aber mit weitläufigen Nebengebäuden versehen und mit einem Park von sehr großem Umfang umgeben, der zum Theil im Geschmack von Le Notre, zum Theil im englischen Geschmack angelegt ist und einen schönen Fluß oder eigentlich einen Kanal enthålt, der zu Luftschiffahrten dient. Auf einer von diesem Wasser gebildeten Insel überraschte uns eine Kolonnade mit einer Menge Bildsäulen und Brustbilder von Marmor. Die Treibhauser, wohin uns der Herzog selbst führte, sind ebenfalls von der neuesten englischen Einrichtung. Wir wanderten lange Zeit unter schönen Kirschbäumen, die mit ihren reifen Früchten prangten und neben denen die Erdbeerbeete ihren Ueberfluß zur Schau legten. Ein englischer Gärtner, ein Schüler des allgemein berühmten Browne, war der Zauberer, der hier im April den Reichthum des Julius hervorzubringen gewußt hatte. Fast noch vollkommner in ihrer Art sind die Ställe des Herzogs, wo wir eine Anzahl vorzüglich schöner Reitpferde sahen, die ihr Eigenthümer mit Namen kannte und deren besondere Pläge er zu finden wußte, obgleich ein unglücklicher Schuß auf der Jagd ihn vor mehreren Jahren beider Augen beraubt hat.

Dieses harte Schicksal dünkt einen zehnfach hårter, wenn man den liebenswürdigen Mann persönlich kennt, den es betroffen G. Forster's Schriften. III.

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hat. Seine Gesichtsbildung gehört zu den seltneren, wo Zartheit und Harmonie des Edlen den Ausdruck einer höhern Empfänglichkeit hervorbringen; er ist noch jest ein schöner Mann. Die Moralitat feines Charakters entspricht, wie es sich von selbst versteht, diesen Zügen. Was man schon so oft an Blinden bemerkte, jene innere Ruhe und eine Fähigkeit zum frohen Genusse des Lebens, fand ich in ihm wieder bis zur Vollkommenheit erhöht; man möchte sagen, die Einbildungskraft der Blinden sei unablässig so geschäftig, wie es die unsrige nur in den Augenblicken ist, wo wir die Augen freiwillig schließen, um, von äußeren Eindrücken ungestört, die Bildervorråthe des innern Sinnes schärfer zu fassen. Dieser glückliche Blinde hat mich wiederholt versichert, daß ihn keine Langeweile und kein Unmuth verfolgt; er ist immer von der heitersten Laune und hat seine übrigen Sinne gewöhnt, ihm den Verlust des zartesten und edelsten erträglich zu machen. Ohne ihn genau anzusehen wird man in seinen Handlungen nicht leicht gewahr, daß er seines Gefichts beraubt ist; er spielt alle Kartenspiele, er reitet sogar auf die Jagd, und seine Phantasie scheint ihm Gestalten und Farben mit ihrem ganzen mannigfachen Spiel so lebhaft zu malen, daß er mit Wärme, als von einem gegenwärtigen Genusse, davon sprechen kann. Ich glaube, man thut dem Manne unrecht, dessen Geistesauge so hell sieht und alles mit einem so heitern Strahle beleuchtet, wenn man ihm einen Ehrgeiz andichtet, der nur mit einer allzuschlechten oder allzuguten Meinung von den Menschen bestehen kann. Erst müßte man ihm seine Augen wiedergeben; dann dürfte es verzeihlicher scheinen, zu zweifeln, ob er eine angebotene Krone ausschlagen könne. Allein die meisten Köpfe finden es unbegreiflich, wie man eine Krone ausschlägt; so fern ist man noch in unseren vermeintlich er leuchteten Zeiten von einer richtigen Schäßung der Dinge. Sollen wir es den Völkern verdenken, daß sie sich von der Fürstenwürde verkehrte Begriffe machen? Die Geschichte ist Schuld daran. Sie lehrt, daß, bis auf wenige seltene Ausnahmen, Mißbrauch und Nichtgebrauch der Sinne das begleitende Kennzeichen gekrönter Häupter war. Wie unvermeidlich führt nicht diese Thatsache auf die Folgerung, daß man auch ohne Sinne gar wohl eine Krone tragen könne.

Wir fanden hier den Bruder des Herzogs, Grafen la Mard, und verschiedene eifrige Anhänger der demokratischen Partei; ins

besondere den feinen, besonnenen und zugleich kühnen Secretan, der beinahe das Opfer seines Patriotismus geworden wäre. Der feurige Graf la Marck, der im vorigen Kriege an der Küste Koromandel gegen die Engländer gefochten hatte, weckte durch seine Erzählungen manches ruhende Bild von meiner Reise mit Cook. In diesem geistvollen Cirkel, wo jeder so viel galt, als er seinem innern Gehalte nach werth ist, eilten die Stunden schnell vorüber; es war Mitternacht ehe wir das gastfreie Schloß verließen.

Die Einwohner des Hennegaus gefielen uns auf den erften Blick, zumal die Männer, mit ihren gesunden, festen, muskulösen Gesichtern und der starkgezeichneten Nase und Mund, die wir im Limburgischen schon gesehen hatten, die uns aber in Brabant wieder verschwunden waren. Ihr Charakter ist lebhaft, gutmüthig und fest; so lautete das einstimmige Zeugniß des Herzogs und seiner Gesellschaft. Allein woran mag es liegen, daß wir auch in dieser Provinz noch keine schönen Weiber sahen? Ueberall herrscht die vollkommenste Ruhe, und der Landmann wie der Städter läßt sich in der Ausübung seines gewohnten Fleißes nicht stören. Das kleine Städtchen Uth und das noch kleinere Leuze, durch welche wir kamen, handeln mit Leinwand und Wollenzeugen von ihrer eignen Arbeit. Leinwand ist auch das Hauptprodukt des Städtchens Enghien, wo der Herzog von Aremberg, wie er uns selbst erzählte, von jeder Elle Leinwand, die dort verkauft wird, eine Abgabe erhebt, die in einem halben gigot, das ist, dem Sechzehntheil eines sol, besteht. Diese Abgabe ist für jährliche funfzehnhundert Gulden verpachtet, wobei der Pächter wahrscheinlich noch eben so viel wie der Herzog ge= winnt. Nach dieser Berechnung würden aus Enghien allein 960,000 Ellen Leinwand verkauft, welches wirklich übertrieben zu sein scheint. Die flandrische Leinwand, sowohl die grobe als die feine (toile au lait) wird wenig oder gar nicht kalandert; sie ist fester und dichter als die schlesische und geht hauptsächlich nach Spanien. Die Wollenzeuge, die man in Leuze verfertigt, find meistentheils Kamelotte; auch werden daselbst viele wollene Strümpfe gewebt und in der umliegenden Gegend von dem fleiBigen Landmanne in seinen Nebenstunden gestrickt.

Durch die Ruinen der weitläufigen Festungswerke von Tournai, kamen wir um Mittag in diese große, aber wenig bevôlkerte Hauptstadt des Ländchens Tournesis, welches eine eigene

belgische Provinz ausmacht. Die Gegend hier herum schien uns nicht so sorgfältig angebaut, wie es gewöhnlich in den Niederlanden der Fall ist, und selbst die Demolition der Festungswerke trug etwas dazu bei, das Bild der Verwüstung greller zu zeich nen. Wenn man sich freuen soll, daß diese unnatürlichen Denkmåler der zugellosen Leidenschaft unserer barbarischen Voråltern endlich als unnüt abgeschafft werden, so muß wenigstens das schöne Schauspiel des Fleißes und der emsigen Betriebsamkeit uns für den angenehmen Eindruck entschädigen, den der Anblick aller großen, durch Menschenhände ausgeführten Werke uns gewährt. Lieber lasse man uns die alten Bastionen und Gråben, als diese öden Schutthaufen, welche die Ohnmacht und das Phlegma der Nation so widrig bezeichnen. Diese Eigenschaften drangen sich uns indeß in einer noch ungleich verächtlichern Gestalt auf, als wir in Erwartung unseres Mittagsmahls einen Spaziergang in der Stadt machten und auf dem großen Markte die Freiwilligen erercieren sahen. Es ist nicht möglich, das Lächerliche dieser grotesken Gruppe in Worten zu schildern; selbst Hogarth's Talent håtte verzweifeln müssen bei dieser trägen, charakterlosen Unordnung. Was ich sah, war eine übelgewählte, buntschäckige und zum Theil wirklich abentheuerlich gekleidete Wachtparade, aber ohne alle Einheit, ohne diese Anziehungskraft, diesen Geist des Ganzen, der die Bestandtheile bindet und zu einem lebendigen Körper beseelt. Man sah augenscheinlich, nicht nur, daß Soldat und Soldat nichts gemein hatten, sondern daß der Mensch, sein Rock und sein Gewehr heterogene Theile waren, die blos der Zufall zusammengehäuft, nicht das Geset der innern Nothwendigkeit zu einer unzertrennlichen Individua lität erhoben hatte. Die Officiere waren so unansehnlich wie die Gemeinen und trieben ihr Handwerk mit einer Lässigkeit und Lauigkeit, die uns vom Lachen bis zum Unmuthe brachte. Unter vier bis fünfhundert Menschen sahen wir nicht einen von ansehnlicher Statur; dagegen eine Menge Knaben von funfzehn Jahren. Der einzige Mensch, der einen Begriff von seiner Pflicht zu haben schien, und folglich der einzige, der diese todte Masse noch ein wenig zu beleben vermochte, war der Regimentstambour.

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Tournai hat einige schöne Plåße und Gebäude, aber nicht über 24,000 Einwohner, bei einem Umfange, der eine ungleich größere Volksmenge verspricht. Die vortheilhafte Lage der Stadt

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