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Tuch sehen, das vor ihnen liegt. Von dem, was über ÿnen, in den Lüften vorgeht, scheinen sie gar keine Ahnung zu haben; sonst håtte doch wohl einer hinaufgeguckt und noch größere Augen gemacht. Kein Mensch begreift, was sie wollen; hätte man nur die Legende darunter geschrieben, so wäre nichts in der Welt so leicht zu verstehen gewesen. War es etwa ein politischer Kunstgriff des Malers, die Geschichte nur denen zu verrathen, die das Geheimniß schon wissen?

Dieses prunkende Gemälde wird von allen Kennern bewun= dert, von allen Künstlern mit tiefer Ehrfurcht angestaunt, von allen Reisenden begafft und auf das Wort ihres Miethslakaien gepriesen. Ich sehe noch hinzu: sie haben alle Recht. Nicht nur die Ausführung eines Kunstwerkes von solchen Dimensionen ist etwas werth, sondern man verkennt auch an diesem Meisterwerke nicht den Genius des Künstlers. Alles, was hier vorgestellt wird, findet man einzeln in der Natur: solche Menschen, solche Kinder, solche Gestalten und solche Farben. Die Wahrheit, Leichtigkeit und Zuverlässigkeit, womit Rubens fie, aus der Natur aufgefaßt, durch seine Hand verewigen konnte, bilden eine künstlerische Größe, worin er keinen Nebenbuhler hat. Auf diesem uugeheuren Altarblatte umschweben nicht etwa nur ein halbes Dußend Engel, wie in Guido's Gemälde, die Jungfrau; sie bleiben nicht halb im Schatten, nicht halb hinter ihr verborgen, um die einfache Größe des Eindrucks nicht zu stören; hier ist sie von einem ganzen himmlischen Hofstaat umringt; unzählige Kinderfiguren, immer in anderen Stellungen und Gruppen, Köpfe mit und ohne Körper flattern auf allen Seiten um sie her und verlieren sich in einem Meer von Glorie. In der zweiten, irdischen Gruppe sieht man wieder eine Menge Figuren in Lebensgröße zu einem schönen Ganzen verbunden; und welche Varietät der Stellungen, welche Harmonie der Farbenschattirungen, vor allem, welche Wahrheit und welcher Ausdruck herrschen auch hier in allen Köpfen! Doch die große Ueberlegenheit des Künstlers besteht darin, daß er zur Verfertigung dieses großen Gemäldes nur sechzehn Tage bedurfte. Erwågt man den Grad der Thätigkeit und des Feuers, der zu dieser erstaunlichen Schöpfung gehört, so fühlt man sich geneigt, ihr alle ihre Gebrechen und Mängel zu verzeihen.

In der Kapelle der Schüßengilde wird die berühmte Abnehmung vom Kreuz aufbewahrt, die so allgemein für das höchste

Kunstwerk von Rubens anerkannt und um zwölf Jahre ålter als die Himmelfahrt ist. Ich kann mich auf keine detaillirte Beschreibung dieses so oft beschriebenen, ohne Einschränkung und mit so großem Rechte gepriesenen Gemåldes einlassen; doch Du kennst es schon aus dem schönen Kupferstiche. In Absicht auf lebendige Darstellung bleibt es ein Wunder; alles, was ich je gesehen habe, weicht zurück, um diesem Ausdruck Ehre zu geben. Die Zeichnung ist korrekter, als Rubens gewöhnlich zu zeichnen pflegte; die Composition einfach und groß, die Gruppe schön, so schön, daß man darüber das Kreuz vergißt, dessen unbezwingbare Steifigkeit sonst aller malerischen Grazie so nachtheilig zu sein pflegt. Die Stellungen, die Gewänder, die Falten, das Licht, der Farbenton und die Carnationen alles ist bis auf Kleinigkeiten meisterhaft ersonnen und ausgeführt. Die Mutter und der Johannes sind wahrhaft italienische Studien oder Reminiscenzen; bei dieser edleren Natur wird man den Uebelstand kaum gewahr, daß Petrus, zu oberst auf dem Kreuze, im Eifer seiner Geschäftigkeit, den Zipfel des Tuches, worin der Leichnam ruht, in seinen Zähnen hält. Vielleicht ist die kalte Bewunderung, die der Anblick dieses Bildes mir abnöthigte ein größeres Lob für den Künstler, als der Enthusiasmus, der dar über bei Andern durch Nebenideen entstehen kann. Der Begriff des Erbaulichen darf schlechterdings bei der Beurtheilung eines Kunstwerkes von keinem Gewichte sein. Vergißt man aber einen Augenblick die Beziehung des vorgestellten Gegenstandes auf die Religion, so wird man mir zugeben wüssen, daß die Wahl nicht übler håtte getroffen werden können. Die Hauptfigur ist ein todter Leichnam, und die Verzerrung seiner Glieder, die keiner willkürlichen Bewegung mehr fähig sind, sondern der Behand lung der Umstehenden gehorchen, ist mit dem ersten Augenmerk des Malers, der Darstellung des Schönen, schlechterdings nicht zu reimen. Doppelt ungünstig ist der Augenblick, wenn der Leichnam einen gekreuzigten Christus vorstellen soll; denn es ist eben derselbe, wo alles Göttliche von ihm gewichen sein und der entseelte Ueberrest der menschlichen Natur in seiner ganzen Dürftigkeit erscheinen muß. Es gibt Momente in der Mythologie des Christenthums, die dem Maler freie Hånde laffen: Scenen, die eines großen, erhabenen Styls, ohne Verlegung des Schönheitsfinnes, fähig sind und zu der zartesten Empfänglichkeit unseres Herzens reden; allein wessen mag die Schuld sein, daß die

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flåmmischen Künstler sie nicht wählten? Liegt sie an ihnen selbst, oder an den Aufbewahrern dieser Mysterien? Haben jene den feinen Sinn nicht mitgebracht, der zu einer solchen Behandlung nöthig ist? oder haben diese den Gegenständen eine so plumpe Einkleidung gegeben, daß jedes Bemühen der Kunst daran scheitern muß? Blos in dieser einen Kathedralkirche habe ich zweimal die Visitation der Jungfrau durch einen unverschämten Fingerzeig der alten Elisabeth bezeichnet gesehen, und eins von diesen sauberen Stücken war übrigens ein gutes Bild von Rubens. O der niederländischen Feinheit!

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Hier breche ich ab. Es gibt noch unzählige Gemälde, sowohl in Kirchen, als in Privatsammlungen, wovon ich nichts gesagt, es gibt sogar viele, die ich nicht gesehen habe. Allein von dieser Probe läßt sich ein allgemeines Urtheil über den Geist und Geschmack der flåmmischen Schule abstrahiren

XXII.

Antwerpen.

Wie froh bin ich, daß unsere Pferde nach Rotterdam nun endlich auf morgen früh bestellt sind. Ein långerer Aufenthalt unter diesen Andächtlern könnte wirklich die heiterste Laune ver giften. Noch nie habe ich die Armuth unserer Sprachen so tief empfunden, als seitdem ich hier von den Menschen um mich her mit den bekanntesten Wörten eine mir ganz fremde Bedeutung verbinden höre. Man liefe Gefahr gesteinigt zu werden, wenn man sich merken ließe, daß die Freiheit noch in etwas anderem bestehen müsse, als van der Noots Bildniß im Knopfloche zu tragen, daß Religion etwas mehr sei, als das gedankenlose Gemurmel der Rosenkranzbeter. Die traurigste Abstumpfung, die je ein Volk erleiden konnte, ist hier die Folge des verlornen Handels. Selbst im Aeußern zeigt die hiesige Race nichts Empfehlendes mehr. Am Sonntage sah ich in den verschiedenen Kirchen über die Hälfte der Einwohner versammelt, ohne nur ein Gesicht zu finden, auf dem das Auge mit Wohlgefallen geruht hätte. Leere und Charakterlosigkeit, die in Brabant über

haupt so durchgehends herrschen, äußern sich hier in einer noch unschmackhafteren Gestalt als anderwärts; und nicht einmal eine Varietåt in der Kleidertracht zieht die Aufmerksamkeit von dieser Ausartung der menschlichen Natur hinweg. Mit dem gehemmten Geldumlauf mußte die Industrie zugleich ins Stocken gerathen, und außer einigen Salz- und Zuckerraffinerien, einer Sammetfabrik und ein paar Baumwollenmanufakturën, enthält diese große Stadt keine hinreichende Anstalt, um die Hände der geringen Volksklasse zu beschäftigen. Die schönen, breiten Straßen find leer und dde, wie die zum Theil sehr prächtigen, massiven Gebäude, nur an Sonn- und Festtagen kriecht die tråge Menge aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um an den zahlreichen Altåren die Sünde des Müßigganges durch einen neuen abzubůßen. Die Klerisei beherrscht dieses erschlaffte Volk mit ihren einschläfernden Zauberformeln; denn nur die Undacht füllt die vielen müßigen Stunden aus, die nach dem Verluste des Handels ihm übrig blieben. Die Wissenschaften, die einst in Antwerpen blühten, find bis auf die lehte Spur verschwunden. Die niederländischen Künste, deren goldenes Zeitalter in die Periode der gehemmten merkantilischen Thätigkeit fiel, wurden nur auf kurze Zeit von dem brachliegenden Reichthume zu ihrer größten Anstrengung ges reizt; es währte nicht lange, so fand der Kapitalist, der seine Gelder nicht an auswärtige Spekulationen wagte, die Fortsetzung eines Aufwandes mißlich, der zwar gegen seine Millionen gerech= net måßig scheinen konnte, aber gleichwohl ein todtes Kapital allmålig aufzehrte. Antwerpen also ist nicht blos erstorben in Absicht des Handels, sondern auch der ungeheure Reichthum, den einzelne Familien noch deselbst besigen, verursacht nicht einmal die kleine Cirkulation des Lurus. Der reichste Mann bringt seine Nachmittage, von Mönchen und Pfaffen umgeben, bei einer Flasche von Löwen'schen Biere zu und bleibt jedem andern Zuge der Geselligkeit verschlossen. Die Privatsammlungen von Gemälden fchmelzen je långer je mehr zusammen, indem viele der vorzüglichsten Meisterwerke an auswärtige Besiger gekommen find, und selbst der Ueberfluß an Diamanten und anderen Juwelen, weswegen Antwerpen so berühmt ist, wird in Kurzem nicht mehr bedeutend sein; denn man fångt an, auch diese Kostbarkeiten zu Gelde zu machen.

Was der Eigennus nicht mehr vermochte, das hat die Geistlichkeit noch bewirken können; sie hat diesen Klößen Leben

und Bewegung eingehaucht und fie bis zur Wuth und Tollkühnheit für das Hirngespinnst ihrer Freiheit begeistert. Ein Hirngespinnst nenn' ich es; nicht, daß ich vergessen könnte, im Empörer das Gefühl der beleidigten Menschheit zu ehren, sondern weil Joseph's Alleinherrschaft menschlicher noch war, als die Oligarchie der Stände, und weil seit der Revolution die Befreiung des Volkes unmöglicher als zuvor geworden ist. Wer die Räthsel des Schicksals lösen mag, der sage mir nun, warum dieser furchtbare Gährungsstoff von unübertrefflicher Wirkfamkeit, warum die Religion, in den Hånden der hiesigen Priester, das Wohl und die Bestimmung ihrer Brüder immer nur hat vereiteln sollen? Welch' eine wohlthätige Flamme hätte man nicht durch dieses Zaubermittel anzünden und nåhren können im Bufen empfänglicher, lehrbegieriger, folgsamer Menschen. Wie reizend wäre das Schauspiel geworden, wo Beispiel und Lehre zugleich gewirkt und in reiner Herzenseinfalt die zarten Keime des Glaubens gereift hätten zu vollendeten Früchten menschlicher Sittlichkeit. Daß der Mißbrauch jener an Stärke alles übertreffenden Triebfeder, indem er endlich der Humanität mit gånglicher Vernichtung droht, die hartnäckigste Gegenwehr veranlassen, daß in diesem Kampfe die kalte, unbestechliche Vernunft sich aus ihren Banden freiwickeln und den menschlichen Geist auf ihrer Kometenbahn mit sich fortreißen muß, wo er nach langem Umherkreisen zuleht im Bewußtsein seiner Beschränktheit, durch neue Resignation sich seinem Ziele wieder zu nähern strebt - das rechne man den Priestern nirgends zum Verdienst. Das Gute, was ihren Handlungen folgte, das wirkten sie von jeher als blinde Werkzeuge einer höhern Ordnung der Dinge; ihre eige nen Absichten, ihre Plane, alle Aeußerungen ihres freien Wils lens waren immer gegen die moralische Veredlung und Vervollkommnung ihrer Brüder gerichtet. Hier, wo ihr Werk ihnen über Erwartung gelungen ist, wo der Aberglaube in dem zähen, trägen belgischen Temperament so tiefe Wurzel geschlagen und jedem Reis der Fittlichen Bildung den Nahrungssaft ausgefogen hat, hier wird man einst desto kräftiger dem hierarchischen Geiste fluchen. Je långer sich die Erschütterung verspätet, um so viel zerrüttender dürfte sie werden, sobald die Sonne der Wahrheit auch über Brabant aufgeht. Die Hartnäckigkeit der Phlegmatis ker bezwingt nur ein gewaltsamer Schlag, wo die Beweglichkeit

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