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Wachholderbranntewein-) Brennereien liegen. Man wollte uns versichern, daß gegen zweihundert Brennereien dort eingerichtet. wåren, welche tåglich fünfhundert Orhoft dieses Getränkes versendeten. So übertrieben diese Angabe scheint, so gewiß ist es doch, daß die Fabrikation und Consumption dieses Artikels sehr beträchtlich bleibt und den Reichthum von Schiedam, als des einzigen ächten Brauorts, ausmacht. Das Verhältniß der Wachholderbeeren zur übrigen Gahre ist nicht bekannt; sie geben aber unstreitig dem Fruchtbranntewein beides, Geschmack und Geist. Der Genuß dieses Brannteweins, wovon der gemeine Mann in Holland so große Quantitåten verbraucht, muß auf die Leibeskonstitution zurückwirken; wie er aber wirke, können nur einheimische Aerzte nach einer durch viele Jahre fortgeseßten · Beobachtung entscheiden.

In dem netten, freilich aber etwas stillen und erstorbenen. Delft besuchten wir eine Fayencefabrik, deren die Stadt gegenwärtig nur acht besißt, indem das englische gelbe Steingut dem schon längst verminderten Absah dieser Waare den lehten Stoß gegeben hat. Der Thon, sagte man uns, káme aus Brabant über Brüssel, ob man gleich den Ort nicht bestimmt anzugeben wußte. Der Ofen, als das Wichtigste, weil er dem Porzellanofen vollkommen ähnlich sein soll, besteht aus drei Kammern über einander. In die mittlere wird das Geschirr in Muffeln eingeseßt und in der untersten das Feuer angemacht. Die Flamme schlägt durch Löcher zwischen den Muffeln durch und die oberste Kammer bleibt für den Rauch. So geschmacklos die Malerei und selbst die Form an dieser Fayence ist, verdient sie doch manchen sogenannten Porzellanfabriken in Deutschland vorgezogen zu werden, die oft die elendeste Waare um theuren Preis verkaufen und gewöhnlich zum Nachtheil der herrschaftli= chen Kammern bestehen.

Es blieb uns noch so viel Zeit übrig, daß wir die beiden Kirchen besehen konnten. In der einen dienen die Grabmåler der Admirale Tromp und Pieter Hein zur Erinnerung an die Heldentugenden dieser wackern Republikaner. Des Naturfor= schers Leuwenhoek's Portrait in einem schönen einfachen Basrelief von Marmor, ihm zum Andenken von seiner Tochter ge= fest, gefiel mir in Absicht auf die Kunst ungleich besser. In der andern Kirche prunkt das kostbare, aber geschmacklose Mo-. nument des Prinzen Wilhelm des Ersten von Nassau, unter

welchem zugleich die Gruft der Erbstatthalter befindlich ist. Schön ist jedoch eine Viktorie von Erz, die auf einer Fußspiße schwebt. Vor wenigen Jahren hat man auch dem edlen Hugo de Groot (oder Grotius) hier ein Denkmal errichtet.

Wir kamen zur Mittagszeit im Haag an und benußten das Inkognito, wozu das Ausbleiben unseres Gepäckes uns nós thigte, um das am Meere gelegene Dorf Scheveningen nach Lische zu besuchen. Sobald man zum Thore hinaus ist, – denn der Haag ist eine Stadt und hat seine Barrieren, so wie seine Municipalitåt, wenn gleich die Reisenden einander beståndig nachbeten, es sei das schönste Dorf in Europa, — also, wenn man zum Thor hinaus ist, befindet man fich in einer schönen, schnur geraden Allee von großen schattigen Linden und Eichen, die durch ein Wäldchen bis nach Scheveningen geht und wo die Kühlung im Sommer köstlich sein muß. Der Anblick des Meeres war diesmal sehr schön; so still und unermeßlich zugleich! Am Strande suchten wir jedoch vergebens nach naturhistorischen Seltenheiten; die Sandhügel waren leer und dde. Wir konnten uns nicht einmal von der Behauptung einiger Geologen vergewissern, der zufolge ein Thonlager unter dem Sande liegen foll. Das Meer, welches in Holland überhaupt nichts mehr ansett, hat im Ge gentheil hier einen Theil vom Strande weggenommen und die Kirche, die sonst mitten im Dorfe lag, liegt jest außerhalb des selben unweit des Meeres. Die vier Reihen von Dünen, etwa eine halbe Viertelmeile weit hinter einander, die man hier deutlich bemerkt, unterscheiden sich durch verschiedene Grade der Ve getation, welche sich in dem Maaße ihrer Entfernung vom Meere und des verringerten Einflusses der Seeluft vermehrt. Auf den vordersten Dünen wächst fast nichts als Schilf und Rietgras, nebst einigen Moosen und der gemeinen Stechpalme; da hinge gen die entfernteren schon Birken, Pfriemen, den Sanddorn (Hippophaë) und mehrere andere, freilich aus Mangel der Nahrung immer noch zwergartige Pflanzen hervorbringen. Der Nähe der Seeluft glaube ich es auch zuschreiben zu müssen, daß hier (im Haag) noch alle Bäume mit völlig verschlossenen Knospen nackt dastanden, indeß wir sie in Flandern und selbst in Rotterdam schon im Ausschlagen begriffen gefunden hatten. Die Argus mente also, welche man von den verschiedenen Stufen des Pflanzenwachsthumes zu entlehnen pflegt, um die Entstehung der Düz nen aus dem Meere selbst, das ihnen jezt zu drohen scheint,

darzuthun, fanden diesmal bei uns wenig Eingang, und wir fühlten uns geneigt, die Bildung dieser Sandhausen so unentschieden zu lassen, wie die Frage, ob ihr Sand bei Kattwyk, wo sich der Rhein verliert, so viel Gold enthalte, um die Kosten einer Wäsche für Rechnung des Staates, wie man behaup tet hat, mit einigem Gewinn zu vergüten. Unter diesen und ähnlichen Betrachtungen wanderten wir zur Stadt zurück, ohne ein anderes Abentheuer als den Anblick der heimkehrenden Fischweiber, die uns begegneten und die unmöglich irgendwo vers wünschter oder herenmäßig häßlicher und unflåthiger aussehen können.

XXIV.

Haag.

Was man von der anmuthigen Lage dieses Ortes und den übrigen Vorzügen sagt, die ihn zum angenehmsten Aufenthalt in den vereinigten Provinzen machen, ist keinesweges übertrieben. Die Gegend um die Esplanade und unweit derselben zeichnet sich durch große, bequeme und zum Theil prächtige Wohnhäuser aus, wovon einige beinahe den Namen Palåste verdienen. Die Reinlichkeit und eine gewisse, bis auf die kleinsten Bequemlichkeiten sich erstreckende Vollständigkeit der äußern und innern Einrichtung, welche jederzeit den sichersten Beweis von Wohlhaben= heit, verbunden mit einem feinen Sinn für Eleganz und Genuß des Lebens gibt, verschönern selbst die einfacheren Gebäude. Unter den hochbewipfelten Linden, die oft in mehreren Reihen neben einander stehen und der Stadt einen ländlichen Schmuck verleihen, geht man fast zu allen Jahreszeiten trocknes Fußes spazieren, und die Aussicht von der Straße nach dem freien Felde, wo gewöhnlich die hiesige Garnison ihre kriegerischen Frühlingsübungen hält, erquickt besonders jeßt das Auge durch das frisch hervorkeimende Grün der fetten Wiesen, die von allen Seiten ein hochstämmiger, reizender Lustwald umfångt. Rings umber ist die Natur so schön, wie ein vollkommen flaches Land sie darbieten kann, und selbst mit dem verwöhnten Geschmack,

den ich aus unseren Rheinländern mitgebracht habe, muß ich bekennen, daß die hiesige Landschaft einen eigenthümlichen, groBen, wenn gleich keinesweges romantischen Charakter hat.

Die Volksmasse im Haag ist so gemischt, daß man es kaum wagen darf, den Schluß von ihrer Lebensweise, ihren Sitten und ihren Anlagen auf die holländische Nation zu machen. Zu meinem großen Vergnügen bemerkte ich jest fast gar keine Bettler auf den Straßen, die vor zwölf Jahren so stark damit befeht waren, daß ein Fußgänger sich des Unwillens über ihre Zudringlichkeit kaum erwehren konnte. Desto auffallender ist gegenwärtig das zahlreiche Militair; den ganzen Morgen_manoeuvriren die verschiedenen Regimenter unter unsern Fenstern; den ganzen Tag über hat man sie beständig vor Augen, und man kommt in keine Gesellschaft, wo man nicht Officiere sieht. Solchergestalt ist wenigstens die neuerdings befestigte Freiheit sehr gut bewacht! Auch trägt man hier allgemein ihr Siegeszeichen, die Orangekokarde, oder ein Band von dieser Farbe im Knopfloch und der Pöbel duldet keinen Menschen ohne dieses Symbol der Conformität auf der Straße.

In den Sitten und der Lebensweise herrscht, ungeachtet der Residenz eines Hofes, noch manche Spur der alten republikanischen Einfalt und Tugend. Die spåte Stunde der Mittagsmahlzeit scheint durch die Verbindungen und Beziehungen der vornehmeren Einwohner mit dem Prinzen, den Versammlungen der Generalstaaten und der höheren Dikasterien allmålig Sitte geworden zu sein. In den meisten Häusern ißt man nicht vor drei Uhr, in den vornehmeren erst um, vier; die arbeitende Klasse der Bürger macht indeß hier, wie überall, eine Ausnahme, weil sie fester an dem alten Brauche hångt und im Grunde auch die Zwischenräume ihrer Mahlzeiten nach der Erschöpfung des Körpers abmessen muß. Die Tafel wird in den besten Häusern mit wenigen, gut zubereiteten Speisen beseßt, und, so viel ich höre, hat das Beispiel der auswärtigen Gesandten und einzelner Familien des begüterten Udels den prafsenden Aufwand und die leckere Gefräßigkeit unseres Jahrhun derts noch nicht eingeführt. Das gewöhnliche Getränk bei Tische ist rother Wein von Bordeaux, dessen man sich doch mit großer Måßigkeit bedient, theils weil man mehrere Stunden bei der Mahlzeit zubringt, theils auch, weil zwischen den Mahlzeis ten bei der Pfeife Wein getrunken wird; denn diese behält durch

gehends ihre Rechte und ist kaum noch aus einigen der ersten Häuser verbannt. Vielleicht wird sie bei der hiesigen feuchten, nebeligen Seeluft nöthiger und zuträglicher oder wenigstens unschädlicher als anderwärts, so sehr sie auch die Zähne verdirbt. Schwarze Zähne sieht man aber auch bei dem Frauenzimmer; sie werden vielleicht mit Unrecht auf Rechnung des täglich zweimaligen Theetrinkens geseßt, da die hiesige alkalescirende Diät mir weit eher die Schuld zu tragen scheint.

Nun ich einmal des Frauenzimmers erwähnt habe, erwar test Du wohl ein Wort zur näheren Bezeichnung desselben; allein ich beziehe mich auf meine vorige Bemerkung: die gemischte Race im Haag gestattet mir kein allgemeines Urtheil. Die vielen, durch die Verbindungen des Hofes hieher gebrachten fremden Familien, die französische reformirte Kolonie und die Mischungen der Niederländer selbst aus allen Provinzen tragen auf eine fast nicht zu berechnende Art dazu bei, den hiesigen Einwohnern eine mehrentheils angenehme, wenn auch nicht charakteristisch nationale Gesichtsbildung zu geben. Die französische Mode herrscht übrigens, wie bei uns, mit unumschränkter Gewalt und bestimmt die Bestandtheile, die Form und den Stoff des Anzuges. Bei der Mittelklasse scheint der Lurus nach Verhältniß des Ortes und der Umstände sich noch ziemlich in Schranken zu haltens hier sah ich die englischen großen Baumwollentů cher oder Shawls in allgemeinem Gebrauch. Die Weiber aus der geringen Volksklasse und die Mägde erscheinen dagegen in einem den Fremden äußerst mißfälligen Kostume. Ein kurzes, öfters weißes Mieder, dessen Schöße, wenn es deren hat, nicht zum Vorschein kommen, bezeichnet ungefähr die holländische, zum Umspannen nicht gemachte Taille; allein die Anzahl der Röcke und ihre Substanz geben diesem Anzug etwas ungeheures, so daß die untere Hälfte des Körpers, von den Hüften bis an die Waden, in einer Art von kurzer, dicker Tonne zu stecken scheint. Auf dem Kopfe eine dicht anschließende Haube und bei den Landleuten darüber ein Strohhut, der um Rotterdam hinten gar keinen Rand, im Haag hingegen rundum einen gleich breiten Rand hat, aber jederzeit mit dunkelfarbigem bunten Kattun gefüttert ist, vollenden diesen Anzug. Die Tracht der Mannspersonen ist weniger ausgezeichnet und fast allgemein von der größten Simplicitat. Das Volk hat eine Vorliebe für die braune Farbe; fast alle Schifferjacken und Schifferhosen sind von brau

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