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nischen, Verfassungen den individuellen Charakter der Menschen und ih freies Beginnen, anstatt mit dem Despotismus von dem falschen Grundsak auszugehen, daß die Menschen nur für den Staat geschaffen und als Råder in der Maschine anzusehen sind; die ein Einziger bewegt. Daher ist dort dem Staate selbst die Muße der Beamten heilig, während man in Despotien so viele traurige Beispiele sieht, daß sie ohne Raft und mit Aufopferung ihrer Individualität, ihrer Nachtruhe und ihrer Gesundheit das schwere Joch der Staatsgeschäfte tragen und als bloße Werkzeuge ihren Verstand, ihr Herz und ihren Willen verläugnen müssen.

Wenn die wissenschaftliche Aufklärung hier große Fortschritte gemacht hat und einige wissenschaftliche Begriffe mehr als anderwärts in Umlauf gekommen sind, so darf man nicht vergessen, wie viel das Beispiel einzelner Männer dazu beitragen kann, wenn entweder ihr Charakter Achtung einflößt oder ihr Standpunkt die Augen Aller auf sie richtet. Außer dem Einfluß, welchen Hemsterhuis, Camper und Lyonnet auf ihre Landsleute behaupteten, hat der Eifer, womit der ehemalige russische Gesandte, Fürst Dimitri Gallizin, sich mehrere Jahre lang in allen Zweigen der Physik und neuerdings in der Mineralogie die gründlichsten Kenntnisse erwarb, unstreitig viel gewirkt, um sowohl diesen Wissenschaften selbst, als denen, die sich ihnen widmeten, in den Augen des hiesigen Publikums einen günstigen Anstrich zu geben. Das Mineralienkabinet des Fürsten enthält die Sammung eines Kenners, der hauptsächlich dasjenige aufbewahrt, was in seiner Art selten und seiner Beziehungen wegen lehrreich ist. Wir bewunderten darin ein anderthalb Fuß langes Stück von Dem feit kurzem erst wieder bekannt gewordenen beugsamen Sandtein des Peiresk, der aus Brasilien gebracht wird, und wurden urch die Experimente des Fürsten überzeugt, daß die decompoirten Granitarten des Siebengebirges bei Bonn noch stärker ls Basalte vom Magnet gezogen werden. In der Mineralienammlung der Herren Voet, Vater und Sohn, überraschte uns icht nur die Schönheit und Auswahl der Stufen, sondern auch ie hier ganz unerwartete Vollständigkeit.

Ich nenne zulegt ein Museum, welches in jeder Rücksicht ie oberste Stelle verdient und in der Welt kaum zwei oder drei lebenbuhler hat, die man ihm mit einigem Recht an die Seite ben kann: das wahrhaft fürstliche Naturalienkabinet des Prin

zen von Oranien. Wenn man bedenkt, wie weit die Frlegung einer Sammlung von dieser Art die Kräfte des reicht im Privatmannes übersteigt, wie leicht hingegen ein Fürst, auch nur mit måßigen Einkünften, sich statt eines andern Vergnügens dieses Verdienst um die Wissenschaften erwerben kann, und endlich, wie unentbehrlich diese Anhäufungen aller bekannten Erzeugnisse des Erdbodens, zur allgemeinen Uebersicht, zur zweckmåßigen Anordnung, zur speciellen Geschichte der einzelnen Naturkörper und folglich zur Vervollkommnung der ersten, unentbehrlichsten unserer Kenntnisse sind; so erstaunt man, wie es möglich ist, daß so viele Privatpersonen den Versuch gewagt ha ben, sich ein Naturalienkabinet zu sammeln und daß im Ganzen genommen die Potentaten gegen diesen wichtigen Zweig ihrer Pflichten so gleichgültig haben bleiben können. Freilich mag die widerfinnige, oder, daß ich richtiger schreibe, die negative Erziehung, die man den meisten Fürsten gibt, wohl Schuld daran sein, daß ihre Begriffe von der Wichtigkeit, dem Nußen und der Nothwendigkeit der Dinge sehr oft mit denen, die andere vernünftige Menschen darüber hegen, in offenbarem Gegensat stehen. Wie dem auch sei, so trifft der Vorwurf jener Sorglosigkeit keinesweges den hiesigen Hof. Die Pracht, die Seltenheit, die Auswahl, der Aufpuk und die sorgfältige Unterhaltung der Naturalien des erbstatthalterischen Kabinets fallen nicht nur beim ersten Anblick auf, sondern die Bewunderung steigt, je långer und genauer man es untersucht. Die Geschenke, welche der Prinz zuweilen von den Gouverneuren der verschiedenen holländischen Besißungen in Indien erhält, so ansehnlich sie auch sind, verschwinden in der Menge und Mannigfaltigkeit dessen, was für seine Rechnung aus allen Welttheilen hinzugekauft worden ist. Das mühsame Geschäft, ein so berühmt gewordenes Museum an einem von Reisenden so frequentirten Orte täglich vorzuzeigen, würde bald, da es ganz auf Einem Manne ruht, dem überdies die Sorge für die Erhaltung und Vermehrung des Ganzen übertragen ist, die Kräfte dieses Einen erschöpfen, wenn man nicht zwischen dem großen gaffenden Haufen und dem Naturforscher von Profession einen Unterschied machte. Die ge= wöhnlichen Neugierigen eilen hier, wie im brittischen Museum zu London, in Zeit von zwei Stunden durch die ganze Enfilade von Zimmern. Gelehrte hingegen haben freien Zutritt, so oft und so lange sie wollen: eine Erlaubniß, die man zuweilen mit

Unbescheidenheit gemißbraucht hat, der wir aber auch schon die wichtigsten Aufschlüsse, zumal im Fache der Thiergeschichte, verdanken. Hier war es, wo Pallas zuerst den Grund zu seinem nachmaligen Ruhm als Naturforscher legte. Herr Vosmaer führte uns freundschaftlich zu verschiedenenmalen in diesem reichen Tempel der Naturwissenschaft umher und zeigte uns auch die neu hinzu gekommenen Stücke, die noch nicht an ihrem bestimmten Orte aufgestellt waren, wie z. B. das Skelet eines der größten Krokodile aus dem Nil, und auf dem Boden das Gerippe des Camelopardalis der Alten oder der Giraffe der Neuern, dieses seltsamen Thieres, das mehr einem Traum der Einbildungskraft, als einem Glied in der Naturkette ähnlich sieht und von dessen Trab, wie man sagt, der Springer im Schachspiel seinen Gang entlehnt. Sein ungeheuer langer Hals, der vorzüglich dazu beiträgt, ihm eine Höhe von achtzehn Fuß zu geben, besteht doch nur, wie bei allen vierfüßigen, såugenden Thieren, aus sieben Wirbeln; so streng beobachtet die Natur selbst in ihren excentrischen Gestalten das Gefeß der Analogie. Von dem großen Orangutang, wovon Camper bloß den Schädel besist, enthält das fürstliche Museum das vollständige Gerippe mit ungeheuer langen Armen, wie der bekanntere langarmige Affe (Gibbon, Golok oder Lar.) Es wäre thōricht, im Ernst das Merkwürdigste aus einem Kabinet ausheben zu wollen, wo dem Naturforscher alles merkwürdig ist und wo man dem Nichtkenner mit leichter Mühe jedes einzelne Naturprodukt von einer wichtigen und interessanten Seite darstellen kann; es wäre unmög lich und ermüdend zugleich, das lange Verzeichniß des ganzen Vorraths abzuschreiben. Genug, das Kabinet, wo man mit Vergnügen die Nashörner und Flußpferde neben dem kleinsten Spißmäuschen und Kolibritchen bemerkt, und wo, des großen, schon vorhandenen Reichthums ungeachtet, noch immer für neue Vermehrungen gesorgt wird, verdient in jeder Rücksicht die Aufmerksamkeit des Dilettanten und des Kenners. Die Menagerie des Prinzen im Loo hat den Fehler einer ungefunden Lage und dient daher zu wenig mehr, als zur Pflanzschule für das Naturalienkabinet.

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Ich könnte Dir jeht noch etwas von den Versammlungszimmern der Generalstaaten und der hohen Dikasterien, im alten Schloß, im Oraniensaal, u. a. D. sagen, wenn ich nicht Vorkehrungen zu unserer Abreise treffen müßte, die noch diese Nacht

vor sich gehen soll. Ein wahrer Deus ex machina ist herabgefahren, um die Bande zu lösen, die uns an den Haag gefesselt hielten. Morgen um zwölf Uhr stehen. wir auf dem Admiralitätswerft in Amsterdam und sehen den neuen Triton vom Stapel laufen; kaum bleibt uns so viel Zeit, daß wir von jedermann Abschied nehmen und uns über den Schmerz der allzu frühen Trennung beklagen können.

XXV.

Amsterdam.

In einer Nacht hat sich unser Schauplak so sehr verändert, daß nichts gegenwärtig Vorhandenes eine Spur des gestrigen in unserm Gedächtniß weckt. Wir leben in einer andern Welt, mit Menschen einer andern Art. Wir haben zwei Schauspiele gesehen, die ich Dir zu schildern wünschte, um Deiner Einbildungskraft den Stoff zu einigen Vorstellungen von Amsterdam zu liefern. So spåt es ist, will ich es noch diesen Abend verfuchen; die Gespenster des Gesehenen sind noch wach in meinem Kopf und gönnen mir keine Ruhe.

Wir standen auf dem Werft der Admiralitåt; uns zur Seite stand das prächtige Arsenal, ein Quadrat von mehr als zweihundert Fuß, auf achtzehntausend Pfählen ruhend, und ganz mit Wasser umflossen. Schon waren wir durch seine drei Stockwerke gestiegen und hatten die aufgespeicherten Vorråthe für ganze Flotten gesehen. In bewundernswürdiger Ordnung lagen hier, mit den Zeichen jedes besondern Kriegsschiffs, in vielen Kammern die Ankertaue und kleineren Seile, die Schiffblöcke und Segel, das grobe Geschuß mit seinen Munitionen, die Flinten, Pistolen und kurzen Waffen, die Laternen, Kompasse, Flag= gen, mit Einem Worte alles, bis auf die geringsten Bedürfnisse der Ausrüstung *). Vor uns breitete sich die unermeßliche

*) Dieses ganze Gebäude mit allen seinen Vorräthen brannte im Jahr 1791 ab, wodurch dem Staat ein Verlust von etlichen Millionen verursacht worden ist.

Wasserfläche des Hafens aus, und in dammernder Ferne blinkte der Sand des flachen, jenseitigen Ufers. Weit hinabwärts zur Linken hob sich der Wald von vielen tausend Mastbäumen der Kauffahrer; die Sonnenstrahlen spielten auf ihrem glänzenden Firniß. Am Ufer und nah und fern auf der Rhede lagen theils abgetakelt und ohne Masten, theils im stolzesten Aufpuş mit der Flagge, die im Winde flatterte und dem langen, schmalen Wimpel am obersten Gipfel der Stengen, die größeren und kleineren Schiffe der holländischen Seemacht. Wir ehrten das Bewußtsein, womit uns der Hafenmeister die schwimmenden Schlößser zeigte und mit Namen nannte, deren Donner noch zulet so rühmlich für Holland auf Doggersbank erscholl. Mit ihm bestiegen wir den Moriß von vierundsiebenzig Kanonen, ein neues Schiff, das schon im Wasser lag, und staunend durchsuchten wir alle Räume, wandelten umher auf den Verdecken und betrachteten den Wunderbau dieser ungeheuren Maschine. Zur Rechten lagen die Schiffe der ostindischen Kompagnie bis nach der Insel Osterburg, wo ihre Werfte sind. Die ankommenden und auslaufenden Fahrzeuge, sammt den kleinen rudernden Booten belebten die Scene. Um uns her auf dem geräumigen › Werfte feierten die Tausende von Kattenburgern *) von ihrer Ar= beit; in mehreren großen und kleinen Gruppen ging und stand die zehntausendköpfige Menge von Zuschauern; ein buntes Gewühl von See- und Landofficieren in ihren Uniformen, von Zimmerleuten in ihrem schmußigen Schifferkostume, von müßigen, umhertobenden Knaben, von ehrsamen amsterdamer Bürgern und Frauen, von Fremden endlich, die aus allen Låndern hier zusammentreffen und einander oft so sehr überraschen, wie uns hier eben jest die Erscheinung unseres R. aus Göttingen.

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Endlich naht der entscheidende Augenblick heran. Man stellt uns vorn an den Kiel der neuen Fregatte, so nah daran, daß der getheerte Bauch über unseren Köpfen schwebt. Völlig sicher stehen wir da und bewundern diese Kunst der Menschen, die jeden Gedanken von Gefahr entfernt. Könnte das Schiff umwerfen, statt abzulaufen, so lågen hier Hunderte von uns zerschellt. Jetzt werden die Blöcke weggeschlagen, worauf es noch ruht; jezt treibt man hinten einen Keil unter, um es dort hd

*) Die Einwohner der Insel Kattenburg, worauf die Admiralitätswerfte liegen, find mehrentheils Arbeiter in denselben.

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