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Diese unvollkommenen Entwürfe sind von den geringeren und mittleren Volksklassen entlehnt, aus denen im holländischen Theater der größte Theil der Zuschauer besteht. Was reich ist und vornehm thut, besucht die französische oder auch die deutsche Truppe. Eine so unpatriotische Lauigkeit gegen die vaterländische Bühne hat die natürlichen Folgen der Vernachlässigung gehabt und dieses Schauspiel zu einer plumpen Volksbelustigung herabgewürdigt. Die einzige Entschuldigung, die man vorbringen könnte, liegt in dem Dilemma: ob es besser sei, dem Volke auf die Gefahr seiner Sittlichkeit, etwas mehr ästhetisches Gefühl einzuflößen, oder ihm mit seiner. Unmanierlichkeit seinen fest ausgesprochenen Charakter zu lassen? Die ungebildete Sinnlichkeit bedarf jederzeit eines kräftigen Stachels, womit sie aufgeregt und gekißelt werden muß; es gehören in der That nicht nur gesunde, sondern auch dicke Nerven dazu, um das Gebrüll und. Geheul der hiesigen Schauspieler zu ertragen und so fürchterlich zu beklatschen. In meinem Leben habe ich nichts Entsehlicheres als ihre Deklamation gehört. Deklamation war es vom Anfang bis zum Ende des Stückes, ohne einen Moment von wahrem Ausdruck der Empfindung, ohne einen Zug von Natur und dennoch war augenscheinlich dieses Geplárr ein Kunstwerk, dessen Erlernung den Schauspielern unglaubliche Anstrengung gekostet haben muß, ehe sie ihre brutale Vollkommenheit darin erlangten. In der Sprache liegt wenigstens Eine Veranlassung, wiewohl gewiß keine Rechtfertigung dieser beleidigenden Art des dramatischen Vortrages; die häufigen, stets wiederkehrenden Vokale und Doppellaute (a, aa, ae, ai, o, au, oo, ou, ow u. f. f.) verursachen, eine Monotonie, welcher man nicht anders abzuhelfen wußte, als vermittelst einer Modulation, die in lauter Difsonanzen forthüpft; ein Ohr, das Harmonie gewohnt ist, hat dabei völlig die Empfindung, wie wenn mit der größten Wuth ein Contrebaß unaufhörlich gestimmt wird. Die Mimik ent= sprach genau dieser Deklamation. Wären die holländischen Schauspieler so ehrlich, wie die Kamtschadalen, die ohne Hehl die Bá= ren für ihre Tanzmeister erkennen, so würden sie gestehen, daß sie von den Windmühlen gestikuliren gelernt haben. Ihre Arme waren unaufhörlich in der Luft und die Hånde flatterten mit einem krampfhaften Zittern und ausgespreizten Fingern in einer Diagonallinie vor dem Körper vorbei. Die Stellung der Herz ren ließ mich oft besorgen, daß ein heftiges Bauchgrimmen sie

plagte; so bog sich mit eingekniffenem Unterleib der ganze okre Theil des Körpers vorwärts, indeß die Arme senkrecht, den Schenkeln parallel, herabhingen. Geriethen fie aber in Affekt, so warfen sie sich auf den ersten besten, der ihnen nahe stand, gleichviel von welchem Geschlecht; und hatten sie etwas zu bitten, so wälzten sie sich im Staube, umfaßten nicht die Kniee sondern die Waden und Knöchel und berührten fast mit der Stirne die Erde. Die Heldin des Stückes stieg auch wieder einmal eben so mit dem Kopf und den Hånden, in bestimmten Tempo's, an den Beinen und Schenkeln ihres Vaters hinan, bis bald in seine Umarmung; unglücklicher Weise konnten sie damals noch nicht einig werden und er stieß sie endlich mit beiden Hånden zur Erde, daß sie wie ein Sack liegen blieb. Diese Schauspielerin besaß gleichwohl noch die meiste Kunst und, wenn ich das Wort nicht entweihe, sogar einigen Sinn für die Kunst; allein sie blieb doch mit den Andern auf Einen Con gestimmt. Sie hatte eine hübsche Figur und wußte sie vortheilhaft zu zeigen; ihre Stimme, wie ich fast durchgehends an den Holländerinnen bemerke, war ein tiefer Tenor. Die Mannspersonen hatten, nach holländischer Sitte, den Hut beständig auf dem Kopf, welches jedoch im Parterre weit unerträglicher als auf der Bühne war. Von der Feinheit des Betragens im Par terre ließe sich ein artiger Nachtrag zum Grobiamus schreiben; ein unaufhörliches Plaudern war das geringste, worüber ein Fremder hier in Erstaunen gerathen konnte. Die unbequeme Einrichtung der Size veranlaßt manchen Auftritt, der ander wärts genau wie eine Indecenz aussehen würde; denn an Gefälligkeit und Achtung, die ohne persönliche Rücksicht ihrem Ge= schlecht erzeigt werden müßte, dürfen die hiesigen Frauenzimmer nicht denken.

Ich habe über diese Erinnerungen an die mannigfaltigen Auftritte, die wir heute mit angesehen, nicht daran gedacht, Dir zu erzählen, wie wir hergekommen sind; Du wirst es nicht mehr so wunderbar finden, daß ich hier schon in die dritte Stunde schreibe, wenn Du erfährst, daß wir die vorige Nacht ganz ruhig geschlafen haben, während der Genius dieses wasserreichen Landes, in Gestalt eines wackern Schiffers, uns fanft vom Haag nach Harlem führte. Der Graf B. von R. hatte uns die prächtige Jacht verschafft, die den Bürgermeistern vom Haag gehört. Wir fanden beim Einsteigen zwei saubere Betten, mit

allem versehen, was die verwöhntesten Sinne von Eleganz und Bequemlichkeit verlangen können. Kaum hatten wir uns ausgekleidet (es war gleich nach Mitternacht), so ertönte überall in den Gebüschen längs dem Kanal das Lied der Nachtigallen und sang uns in den Schlaf. Um folgenden Morgen erwachten wir eben, indem die Barke bei Hartekamp vorbeifuhr, jenem Garten dés reichen Clifford, wo der große Linné sich so manche botanische Kenntnisse erwarb. Es kostete einen Wink, so ließ unser Palinurus die Betten verschwinden. Wir blickten auf die umliegende Gegend durch zehn Fenster, deren jedes in einer überaus großen Scheibe von prächtigem, geschliffenem Spiegelglase be stand und fast schien sie uns dadurch einen besondern Grad von Anmuth zu erhalten. Der Morgen hatte Thränen im Auge; doch kamen auch Sonnenblicke und beleuchteten die Wiesen und Triften, die Dünen, die Meierhöfe und die Lustgårten, zwischen denen wir mit unmerklicher Bewegung hinschlüpften. An den Ufern bald auf dieser, bald auf jener Seite lagen ruhig wiederkåuend die schönen niederländischen Kühe. Schon zeigten sich die Thürme von Harlem, als der Capitain auf einem zierlichen Bord von Mahagoni das silberne Theegeschirr der Herren Bürs germeister hereinbrachte; nie hat man wollüstiger auf weich ge= polsterten Siten im Angesicht einer lachenden Landschaft gefrüh= stückt. Vor den Thoren von Harlem stand, unsrer harrend, ein schönes Kabriolet, mit ein paar unvergleichlichen Harttrabern bespannt; denn B wollte nichts zur Hälfte gethan haben. Wir verließen also unsern lieblichen Käfig und fuhren oder flogen zwei Stunden lang auf einem vortrefflichen Wege. Von Zeit zu Zeit sahen wir Leute mit Schaufeln stehen, womit sie die fast unmerklichen Fahrgeleise zuwarfen; andere schöpften Wasfer aus dem Kanal und besprigten den Weg, damit der wenige Staub sich legte. So eilten wir långs dem harlemer Meer bis an den Punkt, wo nichts als der Straßendamm es von dem größeren Y scheidet. Auf dieser Stelle hat die Aussicht eine erhabene Größe; beide Gewässer sind von so weitem Umfange, daß man ihre entfernten Grenzen am Horizont nicht erkennen kann; man glaubt auf einem kleinen Eiland im unermeßlichen Meere zu stehen. Indeß näherten wir uns dem geschäftigen, volk- und geldreichen Amsterdam; eine Menge Windmühlen zeichneten uns am Horizont seinen Umfang vor; in einer katho

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lischen Stadt von dieser Größe håtten hundert Kirchen mit ih ren stolzen Thürmen den Anblick aus der Ferne verschönert. Aus der Ferne.

XXVI.

Amsterdam.

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In dem entnervenden Klima von Indien gewöhnen sich die europäischen Eroberer nur gar zu leicht an asiatische, weichliche Ueppigkeit und Pracht. Treibt sie hernach das unruhige Gefühl, womit sie dort vergebens Glück und Zufriedenheit suchten, mit ihrem Golde wieder nach Europa zurück, so verpflanzen sie die orientalischen Sitten in ihr Vaterland. Man stråubt sich zwar in Republiken eine Zeit lang gegen die Einführung des Lurus; allein der übermäßige Reichthum bringt ihn unfehlbar in seinem Gefolge. Wenn gleich nüchterne Enthaltsamkeit mehrere Generationen hindurch die Ersparnisse des Fleißes vervielfältigte, so kommt doch zuleht das aufgehäufte Kapital an einen lachenden Erben, der über die Besorgniß hinaus, es nur vermindern zu können, die Forderungen der Gewinnsucht mit der Befriedigung seiner Sinne reimen lernt. Unglücklicherweise pflegt dieser Aufwand selten anders als barbarisch und geschmacklos zu sein, da der Sinn des Schönen, wodurch der Lurus allein erträglich wird, eine frühzeitige Bildung vorausseßt, die dem Sohne eines Fargen Reichen nicht zu Theil werden kann. Von dieser Seite hat die Emsigkeit, wovon man hier so viele Beispiele sieht, der das Sammeln, statt bloßes Mittel zu bleiben, alleiniger engherziger Zweck geworden ist, etwas Empörendes; man erkennt an ihr zu deutlich den Uebergang einer vereinzelten, tugendhaften Gewohnheit durch ihr Extrem in das verwandte Laster, die Me tamorphose der schönen, edeln Sparsamkeit in niedrigen, verächt lichen Geiz. In dieser traurigen Abgestorbenheit, die alle Vers hältnisse des Menschen, bis auf das eine mit seinem Mammon, gänzlich vernichtet, geht nicht nur die Möglichkeit der individuellen Ausbildung verloren, sondern auch die Erziehung des künfti gen Besizers wird so sehr vernachlässigt oder verschroben, daß, wenn Temperament und Beispiel ihn in der Folge zum Praffer

machen, sein Mißbrauch der ererbten Schäße genau so unmoralisch bleibt, wie es des Vaters Nichtgebrauch derselben war.

Ich mache diese Betrachtung, indem ich erwäge, welche unzählige Verbindungen von nie vorherzusehenden Ursachen zur Ents stehung eines Volkscharakters mitwirken können, und wie sehr man Unrecht hat, den spåten Enkeln eine Schuld beizumessen oder auch ein Lob zu ertheilen, wovon der Grund vor Jahrhunderten in einer nothwendigen Verkettung der Umstände gelegt worden ist. Die Widerwärtigkeiten, womit die Holländer in früheren Zeiten zu kämpfen hatten, stärkten in ihnen den hartnäckigen Geist der Unabhängigkeit. Ihre Freiheitsliebe führte sie zu großen Aufopferungen; ihre Enthaltsamkeit ward ihnen zur andern Natur. Indeß alle Nationen Europens bereits einer Ueppigkeit fröhnten, die gleich einer ansteckenden Seuche weder Geschlecht, noch Alter, noch Stand verschonte, blieben sie allein unangefochten von ihrem verführerischen Reiz, in rauher, unzierlicher, republikanischer Einfalt. Aber ihr Muth, der ihnen das reiche Batavia schenkte, ihr Handelsfleiß, dem alles Gold von Asien und Europa in der Hand zurückblieb, ihre Sparsamkeit selbst, die ihnen wehrte, die gesammelten Schäße wieder zu zerstreuen, bereiteten die jeßige Anwendung derselben vor. Jeht befinden sich die Holländer in der Lage aller spåt reifenden Volker; indem sie aus jenem vegetirenden Leben erwachen, sehen sie ihre Vorgänger in der Laufbahn des Genusses als Muster an, denen sie mit verdoppelten Schritten, oder vielmehr mit einem Sprunge, nacheilen wollen, und diese unglückliche Nachahmung stórt sie in dem ruhigen Gange der ihnen angeeigneten Entwickelung..

Dem physischen und klimatischen Naturell der Holländer, wie ihrem besonnenen Gemüthscharakter, ziemte die äußerste Simplicitát; ihre Kultur durfte sich nie von dieser Grundlage entfer nen; sie mußte lediglich darauf gerichtet sein, dem Einfachen Eleganz und Größe beizugesellen. Der bunte, kleinliche Lurus der Mode, der glatte Firniß herzloser Sitten, die wortreiche Leere der Ideen des Tages, stehen ihnen wie erborgte Kleider. Wih, Laune und Geist können unsere Aufmerksamkeit von diesen Mißverhältnissen des Welttons abziehen; ihr munteres Spiel kann wenigstens auf einige Augenblicke ergößen, wenn schon nicht ents schadigen für den Mangel an Schönheit und Harmonie; franzófische Leichtigkeit endlich, scheint zu diesem Flitterstaate zu passen,

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