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vom

Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich,

im April, Mai und Junius 1790.

G. Forster's Schriften. III.

I.

Boppart, den 24. März.

Ich war eben im Begriff, unserer Philosophie eine Lobrede zu halten, als mir einfiel, daß im Grunde wenig dazu gehört, sich in ein Schicksal zu finden, welches Deinem Reisenden noch Feder, Dinte und Papier gestattet. Behaglicher wäre es allerdings gewesen, Dir alles, was ich jest auf dem Herzen habe, aus Koblenz und in der angenehmen Erwartung einer süßen Nachtruhe zu sagen; dafür aber sind Abentheuer so interessant! Ein gewöhnlicher Reisender hätte das Ziel seiner Tagefahrt erreicht; wir sind drei Stunden Weges diesseits desselben geblieben.

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Es war einmal Verhängniß, deß es uns heute, anders ge= hen sollte, als wir erwartet hatten. Statt des herrlichen gestrigen Sonnenscheins, mit dessen Fortdauer wir uns schmeichelten, behielten wir einen grauen Tag, dessen minder glänzende Eigen: schaften aber, genau wie man in Romaner und Erziehungsschriften lehrt, das Nüßliche erseßte. Denn neil der Bauber einer schönen Beleuchtung wegfiel und der bekannten Gegend keine Neuheit verleihen konnte, so blieb uns manche Stunde zur Beschäftigung übrig. Auf der Fahrt durch das Rheingau hab ich, verzeih es mir der Nationalstolz meiner Landsleute! eine Reise nach Borneo gelesen und meine Phantasie an jenen glühenden Farben und jenem gewaltigen Pflanzenwuchs des heißen Erdstrichs, wovon die winterliche Gegend hier nichts hatte, gewärmt und gelabt. Der Weinbau gibt wegen der krüppelhaften Figur der Reben einer jeden Landschaft etwas Kleinliches; die dürren Stöcke, die jest von Laub entblößt und immer steif in Reih und Glied geordnet sind, bilden eine stachliche Oberfläche, deren nüchterne Regelmäßigkeit dem Auge nicht wohl thut. Hier und dort sahen wir indeß doch ein Mandel- und ein Pfirsichbäumchen

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und manchen Frühkirschenstamm mit Blüthenschnee weiß oder röthlich überschüttet; ja selbst in dem engeren Theile des Rheinlaufs, zwischen den Bergklüften, hing oft an den kahlen, durch die Rebenstöcke verunzierten Felswånden und Terrassen ein sol ches Kind des Frühlings, das schöne Hoffnungen auf die Zukunft in uns weckte.

Nicht immer also träumten wir uns in den ewigen Sommer der Palmenlånder. Wir saßen stundenlang auf dem Verdeck und blickten in die grüne, jeht bei dem niedrigen Wasser wirklich erquickend grüne, Welle des Rheins; wir weideten uns an dem reichen, mit aneinander hangenden Städten besåeten Rebengestade, an dem aus der Ferne her einladenden Gebäude der Probstei Johannisberg, an dem Anblicke des romantischen Mäusethurms und der am Felsen ihr gegenüber hangenden Warte. Die Berge des Niederwalds warfen einen tiefen Schatten auf das ebene, spiegelhelle Becken des Flusses, und in diesem Schat ten ragte, durch einen zufälligen Sonnenblick erleuchtet, Hatto's Thurm weiß hervor, und die Klippen, an denen der Strom hinunterrauscht, brachen ihn malerisch schön. Die Noh mit ihrer kühnen Brücke und der Burg an ihrem Ufer glitt sanft an den Mauern von Bingen hinab, und die mächtigeren Fluthen des Rheins stürzten ihrer Umarmung entgegen.

Wunderbar hat sich der Rhein zwischen den engern Thẳlern einen Weg gebahnt.. Kaum begreift man auf den ersten Blick, warush; er.hier (bei Bingen) lieber zwischen die Felswände von Schiefer- sich drängte, als sich in die flachere Gegend nach Kreuznach hin ergoß Auei bald wird man bei genauerer Untersuchung inne, daß in dieser Richtung die ganze Fläche allmålig steigt und wahrer Abhang eines Berges ist. Wenn es demnach überhaupt dem Naturforscher ziemt, aus dem vorhan denen Wirklichen auf das vergangene Mögliche zu schließen, so scheint es denkbar, daß einst die Gewässer des Rheins vor Bingen, durch die Gebirgswånde gestaucht und aufgehalten, erst hoch anschwellen, die ganze flache Gegend überschwemmen, bis über das niveau der Felsen des Bingerlochs anwachsen und dann unaufhaltsam in der Richtung, die der Fluß noch jest nimmt, sich nordwärts darüber hinstürzen mußten. Allmålig wühlte sich das Wasser tiefer in das Felsenbett, und die flachere Gegend trat wieder aus demselben hervor. Dies vorausgeseht war vielleicht das Rheingau, ein Theil der Pfalz und der Bezirk um

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